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Schweiz Med Forum 2012;12(6):114–118
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Therapie des Morbus Parkinson
Fabio Baronti
a
, Toni Schmid
b
a
Parkinson-Zentrum, Klinik Bethesda Tschugg
b
Hausarzt, Gampelen
Parkinson ist eine der wenigen chronischen neurologi
schen Krankheiten, für die eine wirksame Behandlung
zur Verfügung steht. Das reiche Angebot an Medikamen
ten führt für den Arzt oft zur Qual der Wahl: Alle neuen
Produkte werden als erste Wahl angepriesen, die alten
sind aber nicht unbedingt schlecht. Welche Substanzen
sind also für welche Patienten und wann geeignet? Um
dies beantworten zu können, müssen wir uns über das
Krankheitsbild und die Situation des Patienten Klarheit
verschaffen.
Ist die Diagnose korrekt?
Die typischen Symptome eines extrapyramidalen Syn
droms sind einfach zu erkennen. Die Suche nach Atypien
in der Anamnese und in der klinischen Präsentation
kann hingegen Schwierigkeiten bereiten, darf aber nicht
vernachlässigt werden, da bei Parkinsonismen Behand
lung und Management der Patienten anders angegangen
werden müssen.
Neuroleptisch agierende Substanzen (dazu zählen auch
Antiemetika wie Metoclopramid oder Antivertiginosa
wie Cinnarizin und Flunarizin) sind nach Möglichkeit ab
zusetzen, weil diese Medikamente einen Parkinsonismus
auslösen können. Plötzlicher und/oder symmetrischer
Beginn, schrittweiser Verlauf, Frühauftreten von Stürzen
sowie bereits vorhandene urogenitale Störungen, Blut
druckdysregulation, kognitive Einschränkungen oder
Halluzinationen und Psychose sind typische Alarmglo
cken; der Befund anderer neurologischer Zeichen wie
Ataxie oder Störungen der Augenmotorik weist ebenfalls
auf einen Parkinsonismus hin [1]. Da die Diagnose für
die Wahl der Behandlung ausschlaggebend ist, sollte von
Anfang an ein Neurologe mit einbezogen werden.
Früh oder spät behandeln?
Sei es Parkinson oder Parkinsonismus: Wann soll mit
Medikamenten angefangen werden? Über Jahre haben
viele Ärzte eine möglichst lange Verzögerung empfohlen,
was manche Patienten in der Phase der Diagnosever
arbeitung begrüssen. Heute wird eher diskutiert, ob ein
möglichst früher Behandlungsbeginn vorteilhaft sein
könnte: Einerseits gibt es Hinweise, dass Medikamente
wie z.B. Rasagilin die Krankheitsprogression verzögern,
anderseits wird durch eine frühe Behandlung die Lebens
qualität der Patienten früher verbessert. Die Möglich
keit eines krankheitsverzögernden Effekts wurde jedoch
bisher nicht eindeutig bestätigt und der Einfluss von
Nebenwirkungen auf die Lebensqualität kaum unter
sucht [2]. Wie soll man also vorgehen? Die alte goldene
Regel gilt weiterhin: Der Zeitpunkt des Therapiebeginns
muss immer in Absprache mit dem Patienten erfolgen,
seinem Wunsch entsprechen, seine soziale und beruf
liche Situation sowie seinen Leidensdruck berücksich
tigen.
Das Gespräch ist wichtig
Bei der delikaten Aufgabe, einem Patienten die Diagnose
einer chronisch progressiven, unheilbaren Krankheit zu
eröffnen, sollten nach Möglichkeit die Angehörigen mit
einbezogen und ausreichend Zeit eingeplant werden.
Auf das Vorhandensein nichtmotorischer Symptome
(u.a. sexuelle Beschwerden, Depression) muss – mit
eventuellen Behandlungsempfehlungen – eingegangen
werden. Eine psychotherapeutische Unterstützung kann
Quintessenz
P
Da es noch keine Medikamente mit klar bewiesener neuroprotektiver
Wirkung gibt, bestimmt der Leidensdruck des Patienten den Zeitpunkt
des Therapiebeginns.
P
Eine psychologische Unterstützung bei der Diagnoseverarbeitung ist
wichtig.
P
Bei jüngeren Patienten versprechen Dopaminagonisten ein verzögertes
Auftreten von Dyskinesien.
P
Levodopa ist potenter und besser verträglich – es ist bei Parkinsonis
mus, bei psychotischen Symptomen und bei kognitiv veränderten oder
polymorbiden Patienten zu bevorzugen.
P
Retardpräparate, COMTHemmer und MAOBHemmer können die
motorischen Fluktuationen verbessern; auf eine mögliche Zunahme der
Dyskinesien muss geachtet werden. Langwirkende Dopaminagonisten
(evtl. als transdermales System) können die nächtlichen und frühmorgend
lichen Symptome verbessern.
P
Bei ausgewählten Patienten können funktionelle Neurochirurgie, Apo
morphinInfusion oder enterale Verabreichung von Levodopa angewen
det werden.
P
Nichtmotorische Beschwerden sind häufig invalidisierend und werden
durch die dopaminerge Therapie nicht verbessert; einige davon können
(und müssen) behandelt werden.
P
Rehabilitationsmassnahmen gehören zum Standard of care; bei Par
kinsonismen sind sie oft die einzige Möglichkeit zur Verbesserung der
Lebensqualität.
Fabio Baronti
Die Autoren haben
keine finanzielle
Unterstützung
und keine anderen
Interessenskonflikte
im Zusammenhang
mit diesem Beitrag
deklariert.
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bei der Krankheitsverarbeitung helfen; Antidepressiva
können eine Anwendung finden.
Behandlungsbeginn
Auch die Wahl der Erstbehandlung muss sich auf die
individuelle medizinische und psychosoziale Situation
stützen. Setzt man auf die Hoffnung einer Neuropro
tektion? Wie rasch müssen die Beschwerden gelindert
werden? Weisen bereits vorhandene, nichtmotorische
Symptome auf einen Parkinsonismus hin? Besteht eine
Polymorbidität? Steht der Tremor für den Patienten im
Vordergrund? Die wesentlichen Entscheidungspunkte
sind in Tabelle 1
p
zusammengefasst.
Die Anfangsdosis muss möglichst klein sein, die even
tuelle Dosiserhöhung sehr langsam erfolgen. Nicht selten
kann mit einer zweimal täglichen Verabreichung, z.B.
um 8.00 und 14.00 Uhr, gestartet werden. Die frühmög
lichste Anwendung von Retardpräparaten, COMTHem
mern oder Medikamenten mit langer Halbwertzeit bringt
wenig Vorteile, da die Wirkung der Standardmedika
mente am Anfang länger anhält und nächtliche oder
frühmorgendliche motorische Symptome meistens noch
nicht auftreten. Es wird oft angenommen, dass eine mög
lichst kontinuierliche dopaminerge Stimulation die Ent
wicklung von Dyskinesien und anderen motorischen
Fluktuationen verzögern könnte; dies wurde aber nie
wirklich bestätigt. Die so behandelten Patienten beklagen
zwar erst später motorische Fluktuationen; diesen Kom
plikationen wurde aber wahrscheinlich nicht vorgebeugt,
sondern sie wurden über eine längere Zeit behandelt.
Parkinsonismen
Bei Verdacht eines Parkinsonismus ist leider eine The
rapieresistenz zu erwarten. Dies betrifft nicht nur die
sekundären, sondern auch die viel häufigeren neuro
degenerativen Formen – so wird geschätzt, dass z.B.
Multisystematrophie (MSA) und Lewy-Body-Disease
(LBD) bis 20% der atypischen Parkinsonsyndrome aus
machen. Trotz Therapieresistenz zeigen aber viele Pa
tienten in den ersten Jahren eine mindestens partielle
Ansprechbarkeit auf die dopaminerge Therapie. Welches
ist hier die Substanz erster Wahl?
Ein Patient mit MSA wird möglicherweise keine Dyskine
sien entwickeln, hingegen ist das frühe Auftreten einer
symptomatischen Orthostase wahrscheinlich. Und bei
einer LBD muss eine pharmakologische Verschlechte
rung der kognitiven und psychiatrischen Störungen ver
mieden werden. Da Levodopa eine niedrigere Auswir
kung auf Hypotension, Halluzinationen und Psychosen
hat als die übrigen Antiparkinsonika, ist es bei Parkin
sonismen zu bevorzugen. Bei dieser Diagnose ist zudem
ein früher Einsatz rehabilitatorischer Massnahmen sehr
empfehlenswert.
Motorische Fluktuationen
Die Erstbehandlung der parkinsonschen Krankheit er
zielt oft hervorragende Resultate – man spricht dabei von
«Flitterwochen». Meistens genügen hier kleine Dosis
an passungen oder eine Kombination mit einer poten teren
Substanz. Nach wenigen Jahren wird aber dieses idyl
lische Bild durch das Auftreten und die progressive Zu
nahme von Behandlungskomplikationen und nichtmoto
rischen Beschwerden getrübt. Das häufigste motorische
Problem ist eine progressive Verkürzung der Wirkungs
dauer der Medikamente, auch als Wearing-Off bekannt.
Akinetische Phasen (OffPhasen) treten dann bereits vor
der Einnahme der nächsten Dosis auf, ihr Schweregrad
nimmt zu, oft entwickeln sich zum Teil schmerzhafte
Kontraktionen der Muskulatur, die einen Körperteil in
einer Position fixieren (OffDystonien). Im Verlauf treten
die OffPhasen immer unregelmässiger auf, zum Teil in
Verbindung mit emotionalem Stress, meistens aber ohne
eruierbare Auslösefaktoren. Dazu entwickeln die meisten
Parkinsonbetroffenen früher oder später Dyskinesien,
Tabelle 1. Gängige Medikamente für die erste Behandlung.
Vorteile
Nachteile
Kommentar
Levodopa +
Dopadecarboxylase-
hemmer
Bessere Verträglichkeit
Sehr potent
Früheres Auftreten von Dyskinesien
Erste Wahl bei Parkinsonismen,
betagten und polymorbiden Patienten
oder wenn eine raschere und/oder
vollere Wirkung gewünscht wird
Dopaminagonisten
(keine Ergotaminderi-
vate)
Spätere Entwicklung
von Dyskinesien
Häufiger Nausea: Domperidon
bis 60 mg/Tag oft am Anfang der
Behandlung empfehlenswert
Häufigere Tagesschläfrigkeit, Halluzi-
nationen, Psychose, Verschlechterung
einer Orthostase
Etwas weniger potente Wirkung
Bei jüngeren, gesunden Patienten
empfehlenswert
MAO-B-Hemmer
Hoffnung auf neuroprotektive
Wirkung (nicht bewiesen)
Gut verträglich
Sehr milde symptomatische Wirkung
Oft angewendet, wenn noch keine starke
symptomatische Wirkung notwendig ist
Anticholinergika
Sehr wirksam gegen Tremor
Positive Auswirkung auf eine
evtl. Detrusorhyperreflexie
Schlechte Verträglichkeit: kognitive
Störungen, Herzrhythmusstörungen,
Glaukom, Konstipation
Selten angewendet bei stark tremor-
dominanten Krankheitsformen bei
jungen gesunden Patienten
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die die Phasen guter Beweglichkeit begleiten. Diese un
willkürlichen Bewegungen unterschiedlicher Semiologie
zeigen eine Progressionstendenz und können sogar in
validisierend werden.
Bei diesem Potpourri ist die Erhebung der Anamnese
oft schwierig: Begriffe wie «Schlottern» beschreiben zu
gleich Tremor und Dyskinesien, «Blockaden» werden
kaum zeitlich zugeordnet. Die Abgabe eines Protokolls,
das die Betroffenen während einer Woche vor der Kon
sultation ausfüllen, kann sehr hilfreich sein. Ein solches
kann bei Parkinson Schweiz (www.parkinson.ch) kos
tenlos bezogen werden. In besonders schwierigen Fäl
len ist oft eine direkte Beobachtung über 24 Stunden in
einem spezialisierten Zentrum von grossem Vorteil.
Strategien bei Wearing-Off und Dyskinesien
Das Wearing-Off kann durch relativ einfache Massnah
men gut kupiert werden (Tab. 2
p
). In vielen Fällen
genügt eine Verkürzung des Intervalls zwischen den
Levodopaeinnahmen. Aber es gibt andere wirksame
Strategien, wodurch die Last einer häufigeren Tabletten
einnahme vermieden werden kann: z.B. die Umstellung
auf ein LevodopaRetardpräparat, die Kombination von
Levodopa mit COMTHemmern, die Gabe von lang wir
kenden Dopaminagonisten oder MAOBHemmern [3].
Dabei muss beachtet werden, dass bei den letzten drei
Massnahmen eine gleichzeitige Reduktion der Levodopa
Einzeldosen bis 20% oft empfehlenswert ist, um eine
relative Überdosierung in den bereits «guten» Phasen
mit evtl. Zunahme der Dyskinesien zu vermeiden.
Zum Zeitpunkt des Auftretens des Wearing-Off begin
nen sich die Parkinsonsymptome auch in der Nacht be
merkbar zu machen. Die Anwendung von lang wirken
den oder durch ein transdermales System freigegebenen
Dopaminagonisten ist hier besonders vorteilhaft.
Für eine erfolgreiche Behandlung der Dyskinesien ist
ihre diagnostische Zuordnung wichtig: In den meisten
Fällen handelt es sich um die sogenannten Peak-dose
Dyskinesien, die in Zusammenhang mit dem Erreichen
hoher Medikamentenspiegel zunehmen. Unmittelbar vor
und nach ihrem Auftreten werden also Phasen besserer
Beweglichkeit beschrieben (Abb. 1
x
). Ist diese Dia
gnose gestellt, führt eine Reduktion der Einzeldosis, die
Anwendung von Retardpräparaten oder ein Teilersatz
von Levodopa durch z.B. Dopaminagonisten oft zu einer
Verbesserung. Dieselben Massnahmen können aber die
sogenannten biphasischen Dyskinesien paradoxal ver
schlechtern. Hinweis auf diese Form von unwillkürlichen
Bewegungen ist das Auftreten der schwersten Dyskine
sien unmittelbar am Anfang und am Ende der Wirkung
der einzelnen Dosen. Hier ist oft eine Verkürzung des
Dosisintervalls oder eine Steigerung der Gesamtdosis
hilfreich.
Auch die Anwendung von Amantadin kann die Dyskine
sien verbessern; dieser positive Effekt verliert sich aber
oft nach wenigen Monaten. In seltenen Fällen kann die
Anwendung von Clozapin vorteilhaft sein. Wenn aber
die motorischen Fluktuationen fortgeschritten sind, sind
folgende Massnahmen in Betracht zu ziehen.
Funktionelle Neurochirurgie /
enterale und parenterale Therapie
Eine funktionelle Neurochirurgie kann heutzutage zu
her vorragenden Resultaten führen. Das Ausmass der
Verbesserung der motorischen Symptome bei der tiefen
Hirnstimulation und bei der medikamentösen Therapie
ist aber vergleichbar – d.h., therapieresistente Formen
werden auch durch die operative Intervention nicht ver
Tabelle 2. Medikamentöse Behandlung der motorischen Fluktuationen.
Anwendung
Zu beachten
Häufigere
Verabreichung
von Levodopa
Beobachtete Wirkungsdauer
berücksichtigen
Für die Patienten aufwendiger
Levodopa-
Retardpräparate
Einzeldosis und Einnahmezeit
unverändert
Wirkungseintritt zum Teil
verzögert
Zunahme biphasischer
Dyskinesien
Levodopa und
COMT-Hemmer
Einnahmezeit unverändert
Zunahme der Dyskinesien:
Reduktion der Einzeldosis
Levodopa oft notwendig
MAO-B-Hemmer
1x tägliche Verabreichung
Zunahme der Dyskinesien:
Reduktion der Einzeldosis
Levodopa oft notwendig
Dopaminagonisten
Mit Retardpräparaten /
transdermalen Systemen:
bessere Kontrolle von
nächtlichen und frühmorgend-
lichen Symptomen
Achtung Nebenwirkungen
(s. Tab. 1)
Reduktion der Levodopadosis
kann in Frage kommen
Amantadin
Dyskinesien
Oft nur vorübergehende Wirkung
Infusionen
(Apomorphin s.c.,
Levodopa-Carbidopa-
Gel intrajejunal)
Schwere motorische Fluktua-
tionen und schwere Nebenwir-
kungen der oralen Therapie
(bei Levodopa-Carbidopa-Gel)
Aufwendig, invasiv
(Levodopa-Carbidopa-Gel)
Off
Off
Dyskinesien
Dyskinesien
Verbesserung
Off
Off
Verbesserung
Dyskinesien
Verbesserung
Peak-
Dyskinesien
Biphasische
Dyskinesien
Medikamentengabe
Abbildung 1
Eine genaue Beobachtung ermöglicht die Differenzierung zwischen Peak- und biphasi-
schen Dyskinesien.
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bessert. Wo liegen also die Vorteile des Eingriffs? Die Wir
kung bleibt über 24 Std. konstant, mit deutlicher Besse
rung der motorischen Fluktuationen und Dyskinesien.
Die optimalen Kandidaten sind deshalb jene, bei denen
diese Wirkungsschwankungen trotz optimierter Medika
menteneinstellung eine drohende Invalidisierung dar
stellen; wichtigste Kontraindikation ist eine nicht intakte
kognitive Funktion.
Heutzutage hat der Stellenwert von destruierenden Ein
griffen abgenommen, und es wird vor allem eine Tiefhirn
stimulation durchgeführt, deren Parameter in der Folge
individuell angepasst werden können. Anatomische Ziele
sind meistens der N. subthalamicus oder der N. palli
dum; thalamische Eingriffe werden nur bei starker Tre
mordominanz angewendet. Die subthalamische Stimu
lation ermöglicht zudem in der Regel eine Reduktion der
Medikamentendosis (und damit der Nebenwirkungen).
Als parenterale Behandlungsmöglichkeit steht Apomor
phin zur Verfügung. Dieser Dopaminagonist wird sub
kutan sowohl als Bolus (womit die akinetischen Phasen
innert weniger Minuten beseitigt werden) wie auch als
Infusion angewendet, die durch die kontinuierliche Ver
abreichung einer optimalen Dosis die erfolgreiche Kon
trolle der motorischen Fluktuationen ermöglicht. Diese
Strategie ist aber bei Vorhandensein von psychiatrischen
Nebenwirkungen oder kognitiven Einschränkungen nicht
geeignet. Für Schwerstbetroffene steht die enterale In
fusion von LevodopaCarbidopaGel zur Verfügung, die
sehr wirksam, in der Schweiz aber leider (noch) nicht
kassenzulässig ist.
Besonderer Blick auf
psychische Veränderungen
Viele Parkinsonbetroffene weisen eine altersbedingte
Polymorbidität auf. Da nur die Aminosäure Levodopa
interaktionsfrei ist, ist in der Behandlung besondere Auf
merksamkeit geboten. Zudem sind gewisse Nebenwir
kungen bei unterschiedlichen Klassen von Antiparkinso
nika unterschiedlich ausgeprägt. Die Möglichkeit einer
Tagesschläfrigkeit oder einer Orthostase bei der Behand
lung mit Dopaminagonisten sowie die mögliche Ver
schlechterung von Herzrhythmusstörungen, Obstipation
und Glaukom unter Anticholinergika sind gut bekannt.
Noch wichtiger wegen ihrer zerstörerischen sozialen
Konsequenzen ist die Früherkennung von kognitiven
und psychiatrischen Nebenwirkungen, in erster Linie
die durch Anticholinergika induzierten demenzähnlichen
Symptome. Die Medikamente sind in diesem Fall sofort
abzusetzen. In letzter Zeit hat das sogenannte Dopamin
dysregulationssyndrom sogar Medienpräsenz gewon
nen: Insbesondere die Dopaminagonisten können zu
einer pathologischen Verstärkung des hedonistischen
Verhaltens führen. Dies ist einfach zu erklären, da die
Freigabe von Dopamin im Gehirn mit dem Gefühl der
Belohnung korreliert. Falls Verhaltensanomalien auftre
ten, haben sie meistens gravierende Konsequenzen im
Alltag – pathologisches Kauf und Spielverhalten, Hyper
sexualität, unkontrollierte Medikamenteneinnahme sind
einige Beispiele. Eine Spielsucht (Abb. 2
x
) kann die Be
troffenen sogar in eine finanzielle Notlage führen. Aller
dings bekam ein Parkinsonpatient in den USA sogar
Schadenersatz in Millionenhöhe, weil die Information
erst 2005 in die Packungsbeilage aufgenommen wurde.
Das Dopamindysregulationssyndrom sowie Halluzina
tionen und Psychose müssen sofort behandelt werden:
Die Reduktion der Medikamentendosis sowie der Ersatz
von Dopaminagonisten, MAOBHemmern und Amantadin
durch eine LevodopaMonotherapie sind anzustreben;
ist dies nur zum Teil möglich, soll niedrig dosiertes Queti
apin oder Clozapin eingesetzt werden.
Rehabilitation
Rehabilitationsmassnahmen dürfen in der Behandlung
des Morbus Parkinson nicht fehlen. Krankheitsspezifi
sche physio, ergo und logotherapeutische Interventio
nen sind kostengünstige, nebenwirkungsfreie und effizi
ente Möglichkeiten, um die Lebensqualität der Patienten
zu verbessern. Sie sind zudem bei allen nichtidiopathi
schen Formen des Parkinsonsyndroms – definitionsge
mäss von «Therapieresistenz» geprägt – die nahezu ein
zige erfolgversprechende Behandlungsmöglichkeit. Die
für die Rehabilitation typische Interdisziplinarität ge
währleistet auch die (wichtige) Berücksichtigung pflege
rischer und psychosozialer Aspekte. Bei komplexen Fäl
len bietet der stationäre Aufenthalt in einer spezialisierten
Institution besondere Vorteile: Insbesondere besteht die
Möglichkeit einer kontinuierlichen Beobachtung durch
spezialisiertes Personal. Daraus werden oft Erkenntnisse
gewonnen, welche entscheidend zur diagnostischen Zu
ordnung und erfolgreichen (auch pharmakologischen)
Behandlung der individuellen Tag und Nachtprobleme
beitragen [4].
Nichtmotorische Symptome
Mit der Dopaminersatztherapie behandeln wir wahr
scheinlich nur die Spitze des Eisbergs. Es ist heute gut
bekannt, dass nichtmotorische Symptome wie Riechstö
Abbildung 2
Pathologisches Spielverhalten: Dopaminagonisten müssen abgesetzt
werden.
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rungen, Schlafstörungen oder Verdauungsprobleme be
reits viele Jahre vor der Diagnose auftreten. Im Verlauf
werden sie ausgeprägter und durch andere, ebenfalls
nichtdopaminerge (und deswegen durch Antiparkinso
nika nicht behandelbare), nichtmotorische Störungen
begleitet. Sie leisten zur Invalidität der Betroffenen im
fortgeschrittenen Stadium einen signifikanten Beitrag;
bei Parkinsonismen (u.a. MSA und LBD) sind sie bereits
im Frühstadium im Vordergrund. Eine Auflistung der
häufigsten nichtmotorischen Symptome und deren Be
handlung sind in Tabelle 3
p
ersichtlich.
Eine Linderung dieser Probleme erfordert oft eine multi
disziplinäre Intervention. Eine Anpassung der Antipar
kinsonika ist dabei angebracht. Zudem sollten die phar
makologischen Massnahmen [5] – die zum Teil einer
OfflabelAnwendung von Medikamenten entsprechen –
in enger Zusammenarbeit mit einem Spezialisten er
folgen.
Korrespondenz:
Dr. med. Fabio Baronti
Chefarzt und Med. Direktor
Klinik Bethesda
CH-3233 Tschugg
baronti.f[at]klinik-bethesda.ch
Literatur
1 Quinn NP. How to diagnose multiple system atrophy. Mov Disord.
2005;20(suppl12):5–10.
2 Clarke CE, Patel S, Ives N, Rick C, Wheatley K, Grey R. Should treat
ment for Parkinson’s Disease start immediately on diagnosis or delayed
until functional disability develops? Mov Dis. 2011;26:1187–93.
3 Pahwa R, Factor SA, Lyons KE, et al. Practice Parameter: Treatment
of Parkinson disease with motor fluctuations and dyskinesia (an evi
dencebased review): Report of the Quality Standards Subcommittee
of the American Academy of Neurology. Neurology. 2006;66;983–95.
4 Baronti F. Rehabilitation of parkinsonian patients. Review, German.
Ther Umsch. 2007;64(1):29–33.
5 Zesiewicz TA, Sullivan KL, Arnulf I, et al. Practice Parameter: Treat
ment of nonmotor symptoms of Parkinson disease: Report of the Qua
lity Standards, Subcommittee of the American Academy of Neurology.
Neurology. 2010;74;924–31.
Tabelle 3. Häufigste nichtmotorische Symptome und deren Behandlung.
Anpassung der
Antiparkinsonika
Andere Massnahmen
Psychiatrische und kognitive Störungen
Depression/Angststörungen/Apathie
Dopamindysregulationssyndrom
Halluzinationen/Psychose
Demenz
X
X
X
X
Antidepressiva, Anxiolytika, Psychotherapie
Clozapin, Quetiapin
Clozapin, Quetiapin
Rivastigmin (Donepezil)
Dysautonomie
Konstipation
Symptomatische Orthostase
Inkontinenz (meistens Urge-Inkontinenz)
Sexuelle Störungen
Schluckstörungen/Speichelfluss
X
X
Hydratation, ballaststoffreiche Ernährung, osmotische Laxantien
Hydratation/Salzzufuhr, Etilefrin, Fludrocortison, Indometacin,
Midodrin (evtl. Domperidon, Pyridostigmin), Kompressionsstrümpfe
Peripher wirkende Anticholinergika (Achtung: Überlaufsblase),
pflegerische Massnahmen
Psychologische Unterstützung, Phosphodiesterasehemmer
Logopädie, Anticholinergika, Botulinumtoxin
Sensorische Störungen
Missempfindungen, Schmerzen
X
Analgetika, Antirheumatika, Pregabalin
Nächtliche Störungen
Insomnie
Schlaf-Apnoe-Syndrom
REM-Verhaltensstörungen
Albträume, Halluzinationen
Nykturie
Tagesschläfrigkeit
X
X
X
X
Hypnotika, Trizyklika
CPAP
Clonazepam, Melatonin
Clozapin, Quetiapin
Anticholinergika
Modafinil, Methylphenidat
CME www.smf-cme.ch
1.
Halluzinationen, Psychose und eine pathologische
Zunahme des hedonistischen Verhaltens (Hypersexua
lität, Spiel und Kaufzwang, unkontrollierte Medika
menteneinnahme) sind Nebenwirkungen der Antipar
kinsonika mit gravierenden sozialen Folgen und
müssen beseitigt werden. Welche der folgenden Mass
nahmen ist dafür nicht geeignet?
A Reduktion der Dosis der Antiparkinsonika.
B Absetzen aller Antiparkinsonika über 24 Std.
C Reduzieren oder Absetzen der Dopaminagonisten.
D Niedrig dosiertes Clozapin oder Quetiapin.
E Anstreben einer LevodopaMonotherapie.
2.
Welches der folgenden Medikamente ist keine häu
fige Ursache eines iatrogenen Parkinsonsyndroms?
A Cinnarizin.
B Metoclopramid.
C Risperidon.
D Amitryptilin.
E Flunarizin.
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