Heinrich Heine



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Heinrich Heine


Heinrich Heine
Gesichtet (zur aktuellen Version)
Heinrich Heine, 1831, Gemälde von Moritz Daniel Oppenheim
Heinrich Heines Unterschrift
Christian Johann Heinrich Heine (* 13. Dezember 1797 in Düsseldorf als Harry Heine; † 17. Februar 1856 in Paris) war einer der bedeutendsten deutschen Dichter und Journalisten des 19. Jahrhunderts.
Heine gilt als „letzter Dichter der Romantik“ und gleichzeitig als ihr Überwinder. Er machte die Alltagssprache lyrikfähig, erhob das Feuilleton und den Reisebericht zur Kunstform und verlieh dem Deutschen eine zuvor nicht gekannte elegante Leichtigkeit. Die Werke kaum eines anderen Dichters deutscher Sprache wurden bis heute so häufig übersetzt und vertont. Als kritischer, politisch engagierter Journalist, Essayist, Satiriker und Polemiker war Heine ebenso bewundert wie gefürchtet. Wegen seiner jüdischen Herkunft und seiner politischen Einstellung wurde er immer wieder angefeindet und ausgegrenzt. Die Außenseiterrolle prägte sein Leben, sein Werk und dessen wechselvolle Rezeptionsgeschichte.
Leben
Jugend und Lehrjahre
Betty Heine
Der junge Heinrich Heine
„Die Stadt Düsseldorf ist sehr schön, und wenn man in der Ferne an sie denkt, und zufällig dort geboren ist, wird einem wunderlich zu Muthe. Ich bin dort geboren und es ist mir, als müsste ich gleich nach Hause gehn. Und wenn ich sage nach Hause gehn, dann meine ich die Bolkerstraße und das Haus, worin ich geboren bin …“
– Heinrich Heine 1827 in Ideen. Das Buch Le Grand.
Während über Heines Geburtsort nie ein Zweifel bestand, herrschte über sein genaues Geburtsdatum lange Unklarheit. Alle zeitgenössischen Akten, die darüber Auskunft geben könnten, sind im Laufe der letzten 200 Jahre verlorengegangen. Heine selbst bezeichnete sich scherzhaft als „ersten Mann des Jahrhunderts“, da er in der Neujahrsnacht 1800 geboren sei. Gelegentlich gab er auch 1799 als Geburtsjahr an. Nach heutigem Forschungsstand gilt aber als gesichert, dass Harry Heine – so sein Geburtsname – am 13. Dezember 1797 zur Welt kam. Seine Kindheit und Jugend fielen in eine Zeit großer Veränderungen in Folge der Französischen Revolution.
Er war das älteste von vier Kindern des Tuchhändlers Samson Heine und seiner Frau Betty (eigentlich Peira), geborene van Geldern. Seine Geschwister waren Charlotte, Gustav – der spätere Baron Heine-Geldern und Herausgeber des Wiener Fremdenblatts – und Maximilian, später Arzt in Sankt Petersburg. Sie alle wuchsen in einem weitgehend assimilierten, vom Geist der Haskala geprägten jüdischen Elternhaus auf.
Ab 1803 besuchte Harry Heine die israelitische Privatschule von Hein Hertz Rintelsohn. Als die kurfürstlich bayerische Regierung, der das Herzogtum Berg und dessen Hauptstadt Düsseldorf unterstand, 1804 auch jüdischen Kindern den Besuch christlicher Schulen erlaubte, wechselte er auf die städtische Grundschule und 1807 in die Vorbereitungsklasse des Düsseldorfer Lyzeums, des heutigen Görres-Gymnasiums, das im Sinne der Spätaufklärung wirkte. Das Lyzeum selbst besuchte er von 1810 bis 1814, verließ es aber ohne Abgangszeugnis, da er sich, der Familientradition folgend, an einer Handelsschule auf einen kaufmännischen Beruf vorbereiten sollte.
Den Einzug Napoleons in Düsseldorf im Jahr 1811 schilderte Heine später in Ideen. Das Buch Le Grand
1811 erlebte der 13-jährige Heine den Einzug Napoléons in Düsseldorf. Bayern hatte die Stadt und das Herzogtum Berg 1806 an Frankreich abgetreten, so dass Heine später Anspruch auf die französische Staatsbürgerschaft erheben konnte. Den Kaiser der Franzosen verehrte er zeitlebens für die Einführung des Code civil, da das Gesetzbuch die Juden rechtlich mit den Nicht-Juden gleichstellte.
In den Jahren 1815 und 1816 arbeitete Heine als Volontär zunächst bei dem Frankfurter Bankier Rindskopff. Damals lernte er in der Frankfurter Judengasse das bedrückende und ihm bis dahin fremde Ghettodasein der Juden kennen. Heine und sein Vater besuchten damals auch die Frankfurter Freimaurerloge Zur aufgehenden Morgenröte. Unter den Freimaurern erfuhren sie die gesellschaftliche Anerkennung, die ihnen als Juden oft verwehrt blieb. Viele Jahre später, 1844, wurde Heine Mitglied der Loge Les Trinosophes in Paris.
1816 wechselte er ins Bankhaus seines wohlhabenden Onkels Salomon Heine in Hamburg. Salomon, der im Gegensatz zu seinem Bruder Samson geschäftlich höchst erfolgreich und mehrfacher Millionär war, nahm sich des Neffen an. Bis zu seinem eigenen Tod im Jahr 1844 unterstützte er ihn finanziell, obwohl er wenig Verständnis für dessen literarische Interessen hatte. Überliefert ist Salomons Ausspruch: „Hätt’ er gelernt was Rechtes, müsst er nicht schreiben Bücher.“ Seit 1815 schrieb Harry Heine regelmäßig Gedichte; begonnen hatte er damit aber bereits während seiner Schulzeit auf dem Lyzeum.
Amalie Heine, Heinrichs Cousine und erste große Liebe
Da Heine weder Neigung noch Talent für Geldgeschäfte mitbrachte, richtete sein Onkel ihm schließlich ein Tuchgeschäft ein. Aber „Harry Heine & Co.“ musste bereits nach kurzer Zeit Bankrott anmelden. Der Inhaber widmete sich schon damals lieber der Dichtkunst. Dem Familienfrieden abträglich war auch Harrys unglückliche Liebe zu seiner Cousine Amalie. Die unerwiderte Zuneigung verarbeitete er später in den romantischen Liebesgedichten im Buch der Lieder. Die bedrückende Atmosphäre im Haus des Onkels, in dem er sich zunehmend unwillkommen fühlte, beschrieb er in dem Gedicht Affrontenburg.
Studium in Bonn, Göttingen und Berlin
Wahrscheinlich haben die Zwistigkeiten in der Familie Salomon Heine schließlich davon überzeugt, dem Drängen des Neffen nachzugeben und ihm ein Studium fernab von Hamburg zu ermöglichen. Obwohl dieser sich auch für die Rechtswissenschaft nicht sonderlich interessierte, nahm er 1819 ein Jurastudium auf. Zunächst schrieb er sich in Bonn ein, wo er aber nur eine einzige juristische Vorlesung belegte.
August Wilhelm Schlegel, der Heine die Romantik nahe brachte
Salomon Heine (1767–1844). Bis zu seinem Tod unterstützte der vermögende Onkel Heines seinen Neffen.
Dagegen hörte er im Wintersemester 1819/20 die Vorlesung zur Geschichte der deutschen Sprache und Poesie von August Wilhelm Schlegel. Der Mitbegründer der Romantik übte einen starken literarischen Einfluss auf den jungen Heine aus, was diesen aber nicht daran hinderte, sich in späteren Werken spöttisch über Schlegel zu äußern. Das gleiche widerfuhr einem weiteren seiner Bonner Lehrer, Ernst Moritz Arndt, dessen reaktionäre Ansichten Heine in späteren Gedichten und Prosatexten mehrfach aufs Korn nahm.
Im Wintersemester 1820 ging Heine an die Universität Göttingen, die er aber schon wenige Monate später wegen einer Duellaffäre wieder verlassen musste: Heine hatte aufgrund der gesellschaftlichen Zurücksetzung, der Juden im damaligen Deutschland ausgesetzt waren, seine Herkunft möglichst zu verbergen gesucht. Als er von einem Kommilitonen wegen seines Judentums beleidigt wurde, forderte er diesen zum Duell. Die Universität relegierte ihn und seinen Duellgegner daher im Februar 1821 für ein Semester. Im selben Monat wurde Heine wegen eines Verstoßes gegen das „Keuschheitsgebot“ aus der Burschenschaft ausgeschlossen. Er war bereits 1819 in Bonn der burschenschaftlichen Gemeinschaft „Allgemeinheit“ beigetreten und hatte in Göttingen einen burschenschaftlichen Stammtisch besucht.
Heine wechselte nun zur Berliner Universität, wo er von 1821 bis 1823 studierte und u. a. Vorlesungen bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel hörte. Bald fand er Kontakt zu den literarischen Zirkeln der Stadt und war u. a. regelmäßiger Gast im Salon Elise von Hohenhausens sowie im sogenannten Zweiten Salon Rahel Varnhagens. Rahel und ihr Mann Karl August Varnhagen von Ense blieben Heine freundschaftlich verbunden und förderten seine Karriere, indem sie seine frühen Werke positiv besprachen und ihm weitere Kontakte vermittelten, beispielsweise zu Varnhagens Schwester Rosa Maria Assing, deren Salon in Hamburg er frequentierte. Varnhagen von Ense stand bis zu Heines Tod in einem regen Briefwechsel mit ihm.
Während seiner Berliner Zeit debütierte Heine als Buch-Autor. Anfang 1822 erschienen in der Maurerschen Buchhandlung seine Gedichte, 1823 im Verlag Dümmler die Tragödien, nebst einem lyrischen Intermezzo. Seinen Tragödien Almansor und William Ratcliff hatte Heine zunächst einen hohen Stellenwert zugemessen, sie blieben jedoch erfolglos. Die Uraufführung des Almansor musste 1823 in Braunschweig wegen Publikumsprotesten abgebrochen werden, der Ratcliff kam zu seinen Lebzeiten überhaupt nicht auf eine Bühne.
Von Berlin aus unternahm Heine 1822 eine Reise nach Posen. Hier begegnete er erstmals dem chassidischen Judentum, das ihn zwar faszinierte, mit dem er sich jedoch nicht identifizieren konnte. Im Frühjahr 1823, zwei Jahre vor seinem Übertritt zum Christentum, schrieb er in einem Brief an seinen Freund Immanuel Wohlwill: „Auch ich habe nicht die Kraft einen Bart zu tragen, und mir Judemauschel nachrufen zu lassen, und zu fasten etc.
Erste literarische Erfolge
Seine ersten Gedichte (Ein Traum, gar seltsam, Mit Rosen, Zypressen) veröffentlichte Heine bereits 1816, in seiner Hamburger Zeit, unter dem Pseudonym Sy. Freudhold Riesenharf (ein Anagramm von Harry Heine, Dusseldorff) in der Zeitschrift Hamburgs Wächter. Als H. Heine publizierte er im Dezember 1821 in Berlin seinen ersten Lyrikband Gedichte. 1823 folgte Tragödien, nebst einem Lyrischen Intermezzo. Daraus stammt seine frühe politische Aussage: Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.[13] 1824 erschien die Sammlung Dreiunddreißig Gedichte, darunter Heines in Deutschland heute bekanntestes Werk: Die Loreley. Im selben Jahr besuchte er während einer Harzreise den von ihm hoch verehrten Johann Wolfgang von Goethe in Weimar. Bereits zwei Jahre zuvor hatte er ihm seinen ersten Gedichtband mit einer Widmung zugesandt. Der Besuch verlief für Heine aber eher enttäuschend, da er sich – ganz im Gegensatz zu seinem Naturell – befangen und linkisch zeigte und Goethe ihm nur höflich-distanziert begegnete.
„Buch der Lieder“, Erste Seite der Erstausgabe, 1827
Heines Verleger Julius Campe
Heinrich Heine, 1829
Im Jahr 1826 veröffentlichte Heine den Reisebericht Harzreise, der sein erster großer Publikumserfolg wurde. Im selben Jahr begann seine Geschäftsbeziehung zu dem Hamburger Verlag Hoffmann und Campe. Julius Campe sollte bis zu Heines Tod sein Verleger bleiben. Er brachte im Oktober 1827 den Lyrikband Buch der Lieder heraus, der Heines Ruhm begründete und bis heute populär ist. Der romantische, oft volksliedhafte Ton dieser und späterer Gedichte, die unter anderem Robert Schumann in seinem Werk Dichterliebe vertont hat, traf den Nerv nicht nur seiner Zeit.
Aber Heine überwand den romantischen Ton bald, indem er ihn ironisch unterlief und die Stilmittel des romantischen Gedichts auch für Verse politischen Inhalts nutzte. Er selbst nannte sich einen „entlaufenen Romantiker“. Hier ein Beispiel für die ironische Brechung, in dem er sich über sentimental-romantische Naturergriffenheit lustig macht
Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang.
Es rührte sie so sehre
der Sonnenuntergang.
Mein Fräulein! Sein sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.
Heine selbst erlebte das Meer zum ersten Mal in den Jahren 1827 und 1828 auf Reisen nach England und Italien. Seine Eindrücke schilderte er in weiteren Reisebildern, die er zwischen 1826 und 1831 veröffentlichte. Dazu gehören der Zyklus Nordsee sowie die Werke Die Bäder von Lucca und Ideen. Das Buch Le Grand, letzteres ein Bekenntnis zu Napoléon und den Errungenschaften der Französischen Revolution. Er erwies sich als witziger und sarkastischer Kommentator, wenn er während seiner Italienreise nach Genua beispielsweise schreibt: Ja, mich dünkt zuweilen, der Teufel, der Adel und die Jesuiten existiren nur so lange, als man an sie glaubt. Wie zugespitzt, ja beleidigend, Sarkasmus und Ironie sein konnten, zeigt beispielsweise der bekannte Text über die Bewohner Göttingens:
Im Allgemeinen werden die Bewohner Göttingens eingetheilt in Studenten, Professoren, Philister und Vieh; welche vier Stände doch nichts weniger als streng geschieden sind. Der Viehstand ist der bedeutendste. Die Namen aller Studenten und aller ordentlichen und unordentlichen Professoren hier herzuzählen, wäre zu weitläuftig; auch sind mir in diesem Augenblick nicht alle Studentennamen im Gedächtnisse, und unter den Professoren sind manche, die noch gar keinen Namen haben. Die Zahl der göttinger Philister muß sehr groß seyn, wie Sand, oder besser gesagt, wie Koth am Meer; wahrlich, wenn ich sie des Morgens, mit ihren schmutzigen Gesichtern und weißen Rechnungen, vor den Pforten des akademischen Gerichtes aufgepflanzt sah, so mochte ich kaum begreifen, wie Gott nur so viel Lumpenpack erschaffen konnte.
Alle seine Veröffentlichungen in Deutschland waren der Zensur unterworfen, die er 1827 in Das Buch Le Grand mit folgendem, vorgeblich zensierten Text satirisch unterlief
Ehe, Deutschlandreisen und Erbschaftsstreit
Heines Ehefrau Mathilde (Augustine Crescence Mirat)
Noch vor dem Duell heiratete Heine 1841 in der Kirche St. Sulpice die ehemalige Schuhverkäuferin Augustine Crescence Mirat, die er Mathilde nannte. Er hatte die damals 18-Jährige bereits 1833 kennengelernt, lebte wahrscheinlich seit Oktober 1834 mit ihr zusammen und wollte sie für den Fall seines Todes versorgt wissen. Die Hochzeit fand auf ihren Wunsch nach katholischem Ritus statt. Seine jüdische Herkunft hat Heine ihr zeitlebens verschwiegen.
Viele seiner Freunde, wie Marx und Engels, lehnten seine Verbindung mit der einfachen, aber lebenslustigen Frau ab. Heine aber scheint sie auch deshalb geliebt zu haben, weil sie ihm ein Kontrastprogramm zu seiner intellektuellen Umgebung bot. Zu Beginn ihrer Beziehung hatte er versucht, der Bildung seiner vom Lande stammenden Freundin ein wenig aufzuhelfen. Auf sein Betreiben lernte sie lesen und schreiben, und er finanzierte mehrere Aufenthalte in Bildungsanstalten für junge Frauen. Aber Mathilde war selbstbewusst genug, sich seinen Erziehungsversuchen zu verweigern.
Ihr gemeinsames Leben verlief mitunter turbulent: Heftigen Ehekrächen, oft ausgelöst durch Mathildes freigiebigen Umgang mit Geld, folgte die Versöhnung meist auf den Fuß. Neben liebevollen Schilderungen seiner Frau finden sich bei Heine auch boshafte Verse, wie die aus dem Gedicht Celimene
Deine Nücken, deine Tücken,
Hab ich freylich still ertragen
Andre Leut' an meinem Platze
Hätten längst dich todt geschlagen.
Dennoch schätzte Heine sie, obwohl – oder gerade weil – Mathilde kein Deutsch sprach und deshalb auch keine wirkliche Vorstellung von seiner Bedeutung als Dichter besaß. Überliefert ist ihr Ausspruch: „Mein Mann machte dauernd Gedichte; aber ich glaube nicht, daß dies besonders viel wert war, denn er war nie damit zufrieden.“ Gerade diese Unkenntnis deutete Heine als Zeichen dafür, dass Mathilde ihn als Mensch und nicht als prominenten Dichter liebte.
1843 schrieb Heine sein Gedicht Nachtgedanken mit den oft zitierten Worten
Denk’ ich an Deutschland in der Nacht,
Dann bin ich um den Schlaf gebracht.
Gottlob! durch meine Fenster bricht
Französisch heit’res Tageslicht;
Es kommt mein Weib, schön wie der Morgen,
Und lächelt fort die deutschen Sorgen.
Heine zur Zeit seiner Deutschlandreisen, 1843/44
Die „deutschen Sorgen“ Heines betrafen nicht nur die politischen Zustände jenseits des Rheins, sondern auch seine mittlerweile verwitwete, allein lebende Mutter. Nicht zuletzt um sie wiederzusehen und ihr seine Frau vorzustellen, unternahm er 1843 und 1844 seine zwei letzten Reisen nach Deutschland. In Hamburg traf er seinen Verleger Campe und zum letzten Mal seinen Onkel und langjährigen Förderer Salomon Heine.
Als Salomon noch im Dezember 1844 starb, brach zwischen seinem Sohn Carl und seinem Neffen Heinrich Heine ein mehr als zwei Jahre andauernder Erbschaftsstreit aus.[32] Carl stellte nach dem Tod seines Vaters die Zahlung einer Jahresrente ein, die Salomon Heine 1838 seinem Neffen bewilligt, deren Fortzahlung er aber nicht testamentarisch verfügt hatte. Heinrich Heine, der sich von seinem Cousin gedemütigt fühlte, setzte im weiteren Verlauf des Streits auch publizistische Mittel ein und übte öffentlich Druck auf Carl aus. Dieser stimmte im Februar 1847 schließlich einer Weiterzahlung der Rente zu, unter der Bedingung, dass Heinrich Heine nichts mehr ohne seine Zustimmung über die Familie veröffentlichen durfte.
Der Streit entsprang der steten Sorge Heines um seine eigene finanzielle Absicherung und um die seiner Frau. Dabei war er nicht nur ein künstlerisch, sondern auch ökonomisch sehr erfolgreicher Schriftsteller: Er verdiente in seiner besten Pariser Zeit bis zu 34.700 Francs jährlich, was einer aktuellen Kaufkraft (2007) von weit über 200.000 Euro entsprochen hätte. Ein Teil dieses Einkommens verdankte er einer Apanage des französischen Staates, die nach Ausbruch der Februarrevolution 1848 jedoch gestrichen wurde. Heine empfand seine finanzielle Lage dennoch immer als unsicher und stellte sie öffentlich meist schlechter dar als sie in Wirklichkeit war. In den späten Jahren ging es ihm vor allem darum, seine Frau materiell abzusichern.
Mathilde erwies sich allerdings nach Heines Tod selbst als äußerst geschäftstüchtig und verhandelte mit Campe sehr erfolgreich über die weitere Verwertung der Werke ihres Mannes. Sie überlebte ihn um mehr als ein Vierteljahrhundert und starb im Jahr 1883. Die Ehe war kinderlos geblieben.
Heine und der Sozialismus
„Deutschland. Ein Wintermärchen.“, Titelblatt der ersten Separatausgabe, 1844
Mitte der 40er Jahre entstanden Heines große Versepen Atta Troll und – angeregt durch seine Deutschlandreise von 1843 – Deutschland. Ein Wintermärchen. Darin kommentierte er äußerst bissig die staatlichen, kirchlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland. So schildert er in den Eingangsversen eine Szene gleich nach dem Grenzübertritt, in der ein Mädchen eine fromme Weise singt
Sie sang das alte Entsagungslied,
Das Eiapopeia vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint,
Das Volk, den großen Lümmel.

Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,


Ich kenn auch die Herren Verfasser
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.

Ein neues Lied, ein besseres Lied


O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.

Wir wollen auf Erden glücklich sein,


Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch
Was fleißige Hände erwarben.
Karl Marx
In diesen Versen klingen Ideen von Karl Marx an, den er, wie auch den späteren Begründer der deutschen Sozialdemokratie, Ferdinand Lassalle, in jenen Jahren kennengelernt hatte. Später arbeitete Heine an Marx’ Zeitschriften Vorwärts! und Deutsch-Französische Jahrbücher mit. Seine „neuen und besseren Lieder“ veröffentlichte er 1844 in der Lyriksammlung Neue Gedichte, in der auch das „Wintermärchen“ zuerst erschien.
Schon seit Beginn der vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts hatte sich Heines Ton zusehends radikalisiert. Er gehörte zu den ersten deutschen Dichtern, die die Folgen der einsetzenden Industriellen Revolution zur Kenntnis nahmen und das Elend der neu entstandenen Arbeiterklasse in ihren Werken aufgriffen. Beispielhaft dafür ist sein Gedicht Die schlesischen Weber vom Juni 1844. Es war von dem Weberaufstand inspiriert, der im selben Monat in den schlesischen Ortschaften Peterswaldau und Langenbielau ausbrach.
Titelblatt des Vorwärts! mit Heines „Weberlied“, 1844
Die schlesischen Weber
Im düstern Auge keine Thräne,
sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne;
Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch.
Wir weben hinein den dreyfachen Fluch --
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten


In Winterkälte und Hungersnöthen;
Wir haben vergebens gehofft und geharrt,
Er hat uns geäfft und gefoppt und genarrt --
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,


Den unser Elend nicht konnte erweichen,
Der den letzten Groschen von uns erpreßt
Und uns wie Hunde erschießen läßt --
Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem falschen Vaterlande,


Wo nur gedeihen Schmach und Schande,
Wo jede Blume früh geknickt,
Und Fäulniß und Moder den Wurm erquickt --
Wir weben, wir weben!

Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht,


Wir weben emsig Tag und Nacht --
Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreyfachen Fluch,
Wir weben, wir weben!
Das auch als Weberlied bekannt gewordene Gedicht erschien am 10. Juni 1844 unter dem Titel Die armen Weber in der von Karl Marx herausgegebenen Zeitung Vorwärts! und wurde in einer Auflage von 50.000 Stück als Flugblatt in den Aufstandsgebieten verteilt. Der preußische Innenminister Arnim bezeichnete das Werk in einem Bericht an König Friedrich Wilhelm IV. als „eine in aufrührerischem Ton gehaltene und mit verbrecherischen Äußerungen angefüllte Ansprache an die Armen im Volke“. Das Königlich Preußische Kammergericht ordnete ein Verbot des Gedichts an. Ein Rezitator, der es dennoch gewagt hatte, es öffentlich vorzutragen, wurde 1846 in Preußen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Friedrich Engels, der Heine im August 1844 in Paris kennenlernte, übersetzte das Weberlied ins Englische und publizierte es im Dezember desselben Jahres in der Zeitung „The New Moral World“.
Heine pflegte seit Beginn seiner Pariser Zeit Kontakte zu Vertretern des Saint-Simonismus, einer frühen sozialistischen Strömung. Trotz dieser Kontakte und der freundschaftlichen Beziehungen zu Marx und Engels, hatte er jedoch stets ein ambivalentes Verhältnis zur kommunistischen Philosophie. Heine erkannte die Not der entstehenden Arbeiterklasse und unterstützte ihre Anliegen. Zugleich fürchtete er, dass der Materialismus und die Radikalität der kommunistischen Idee vieles von dem vernichten würde, was er an der europäischen Kultur liebte und bewunderte. Im Vorwort zur französischen Ausgabe von „Lutetia“ schrieb Heine im Jahr vor seinem Tod:
„Dieses Geständniß, daß den Comunisten die Zukunft gehört, machte ich im Tone der größten Angst und Besorgniß, und ach! diese Tonart war keineswegs eine Maske! In der That, nur mit Grauen und Schrecken denke ich an die Zeit wo jene dunklen Iconoklasten zur Herrschaft gelangen werden: mit ihren rohen Fäusten zerschlagen sie als dann alle Marmorbilder meiner geliebten Kunstwelt, sie zertrümern alle jene phantastischen Schnupfeifereyen die dem Poeten so lieb waren; sie hakken mir meine Lorbeerwälder um und pflanzen darauf Kartoffel […] und ach! mein Buch der Lieder wird der Krautkrämer zu Düten verwenden um Kaffe oder Schnupftabak darin zu schütten für die alten Weiber der Zukunft – Ach! das sehe ich alles voraus und eine unsägliche Betrübniß ergreift mich wenn ich an den Untergang denke womit meine Gedichte und die ganze alte Weltordnug von dem Communismus bedroht ist – Und dennoch ich gestehe es freymüthig, übt derselbe auf mein Gemüth einen Zauber, dessen ich mich nicht erwehren kann, in meiner Brust sprechen zwey Stimmen zu seinen Gunsten, die sich nicht zum Schweigen bringen lassen […]. Denn die erste dieser Stimmen ist die der Logik. […] und kann ich der Prämisse nicht widersprechen: »daß alle Menschen das Recht haben zu essen«, so muß ich mich auch allen Folgerungen fügen […]. Die zweite der beiden zwingenden Stimmen von welchen ich rede, ist noch gewaltiger als die erste, denn sie ist die des Hasses, des Hasses den ich jenem gemeinsamen Feinde widme, der den bestimmtesten Gegensatz zu dem Communismus bildet und der sich dem zürnenden Riesen, schon bey seinem ersten Auftreten entgegenstellen wird – ich rede von der Parthey der sogenannten Vertreter der Nazionalität in Deutschland, von jenen falschen Patrioten deren Vaterlandsliebe nur in einem blödsinnigen Widerwillen gegen das Ausland und die Nachbarvölker besteht und die namentlich gegen Frankreich täglich ihre Galle ausgießen.“
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