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Herzog Friedrich von Wirtenberg
Der neue Landesherr
Am Nachmittag des 8. August 1593 bot die Stadt Stuttgart
das Bild einer tiefen und allgemeinen Trauer dar; das Schloß
hallte von Klagegeschrei wider, die Hofleute schlichen mit
betrübten Gesichtem umher, die Räte in der Kanzlei steckten
die Köpfe zusammen und unterhielten sich mit besorgter
Miene, die Bürger aber verließen ihre Werkstätten und
Arbeitsstuben und sammelten sich da und dort in Haufen,
aus
deren
Mitte
man
manche
Klage,
manches
unheilverkündende
Wort
vernehmen
konnte.
Denn
mit
Blitzesschnelle hatte sich die Trauerkunde verbreitet, der
gute, fromme Herzog Ludwig ist tot! Diese Kunde kam umso
unerwarteter, da man den Herzog wenige Tage zuvor gesund
und munter auf die Jagd, die sein Lieblingsvergnügen war,
hatte reiten und auch anscheinend im besten Wohlsein
abends am 7. August hatte zurückkehren sehen. Ein kalter
Trunk, den er nach seiner Rückkehr stark erhitzt tat, hatte
seinen Tod schnell herbeigeführt. Gegen Morgen wurde er von
einer heftigen Bangigkeit überfallen und starb trotz aller
angewendeten Mittel um 9 Uhr vormittags.
Der
Verstorbene
war
auch
ein
seelenguter
Herr,
herablassend und freundlich gegen jedermann, auch gegen
den geringsten seiner Untertanen. Mit seinen Hofleuten,
Adeligen und Räten lebte er sehr vertraut, erzeigte sich gegen
sie »ganz gnädig und holdselig«, trieb mit ihnen nach der
Tafel oft »allerhand Vexation und kurzweilig Gespräch«, suchte
sie öfters auch »unversehens in ihren Wohnungen heim und
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ließ alle Notdurft von Hof nachtragen«. Denn nebst der Jagd
war seine liebste Unterhaltung ein »fröhlicher Trunk« mit
guten Freunden. Diese Güte wurde dann fröhlich und öfters
mißbraucht, und es ging namentlich während der letzten
Zeiten der Regierung Ludwigs zu Hof und bei der Kanzlei oft
gar seltsam zu. Es war die gute Zeit der Herren Vettern und
der Frau Basen, eine geistlich-weltliche Herrschaft weniger
bildete sich, deren Häupter der Geheimrat Melchior Jäger von
Gärtringen, der Landhofmeister Erasmus von Leiningen und
der Oberhofprediger Lukas Osiander waren. Wer ihnen treu
ergeben, wer mit ihnen verwandt war, dem durfte es wegen
einer guten Versorgung nicht bange sein, und wenn er sich
auch verfehlte, so sah man ihm durch die Finger. Dies war
im Lande auch wohl bekannt; in einer Satire heißt es: »Drei
Ding schwächen gute Polizei in Wirtenberg: verschwägerte
Theologie, verschwägerte Politici, blinde Bericht’; drei Dinge
betrügen Wirtenberg: Weiberzungen, schwäbisch Geschwätz,
Dautzbrüder.« - Es war aber eben doch behaglich zu leben;
wenn um 9 Uhr vormittags in der Kanzlei die Hofdiener mit
dem »Morgenimbiß« erschienen, setzten Räte und Schreiber
sich traulich zusammen und verplauderten ein Stündchen
miteinander; um 3 Uhr nachmittags beim »Vesperbrot«
geschah dasselbe. Zu viel mit Arbeiten strengte man sich
nicht an; schickten die gebietenden Herren einen Befehl, der
den Kanzleiherren nicht gefiel, so hieß es eben: »Potz
Schlapperment, es ist nur des Melchiors Arbeit«, und es ging
im alten Schlendrian fort. Den Morgenimbiß und das
Vesperbrot lernten die Bürger Stuttgarts den Herren besser
und schneller ab, als irgendetwas anderes. Denn sie hatten
ihren guten Verdienst, der Weinhandel war in der besten
Blüte, Hof und Kanzlei aber trugen auch etwas Erkleckliches
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ein. Von der Polizei war wenig zu verspüren, und ging’s
auch, wie zum Beispiel an der Fastnacht, etwas toll her, so
machte man sich nicht viel daraus. Wenn die Frommen -
denn solche gab es damals auch schon und vielleicht mehr
echte als jetzt - wenn die Frommen auch ein Ärgernis daran
nahmen, so tröstete sie dafür das Betragen des Herzogs, der
selten einen öffentlichen Gottesdienst versäumte und auch die
Seinigen
ernstlich
zu
dessen
Besuchung
anhielt.
Die
Weltkinder erfreute er dafür durch Feste und Schauspiele,
und noch damals, obgleich es schon ziemlich lange her war,
erinnerten sie sich mit Vergnügen der Aufführung des
jüngsten Gerichts auf dem Markte zu Stuttgart im Jahr 1571:
wie da Gott Vater so ernsthaft auf dem Throne saß, um
Gericht zu halten und links die schwarzen, gehörnten Teufel
so lustig das höllische Feuer schürten; sie konnten aber auch
ihre
Teufeleien
nicht
lassen:
auf
einmal
geriet
das
Schaugerüste in Brand, die Teufel liefen davon, Gott Vater
begann zu wanken und die feierlich ernste Szene endete mit
einem allgemeinen Gelächter. Das war einmal ein rechter
Spaß für die Weltkinder.
Das alles sollte nun anders werden; denn kein Sohn
Ludwigs bestieg den verwaisten Thron; da er kinderlos starb,
so
erhielt
sein
Vetter,
Graf
Friedrich
von
Wirtenberg-Mömpelgard, das schöne Erbe. Der aber war ein
ganz anderer Mann als der fromme Ludwig - jeder Zoll ein
Herrscher, nur schade, daß für die Tätigkeit eines solchen
Herrschergeistes Wirtenberg einen zu kleinen Schauplatz
darbot und daß das politische Treiben in Deutschland damals
so kleinlich war. Friedrich besaß einen hohen, kräftigen Geist,
einen scharfen Verstand, eine gesunde Urteilskraft, ein
treffliches Gedächtnis und einen durchdringenden Scharfsinn.
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Schon früher hatte er sich mit Staatsangelegenheiten
beschäftigt und auf Reisen, an deren er ein besonderes
Gefallen fand, sich mancherlei Erfahrungen und einen damals
seltenen Grad von politischer Einheit und Klugheit erworben,
die sich überall deutlich offenbarten, wo nicht die Hitze und
Ungeduld seines Temperaments, welche er nicht immer zu
zügeln wußte, ihn zu Übereilungen hinrissen. Auch sein
Eigenwillen artete öfters in starren Eigensinn aus; einer seiner
Räte, welcher ihn wohl kannte, sagte hierüber: »Wenn der
Herzog einmal sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, so war es
gar schwer, ihn wieder davon abzubringen, und es mußte
gehen oder brechen, wenn es auch gleich gefährlich und
höchst schädlich war.«
Ein solches Verfahren war man freilich beim seligen Herzog
nicht gewohnt, und auch das wußte man nur zu gut, daß das
vertrauliche Verhältnis zwischen Herren und Dienern, welches
bei ihm geherrscht hatte, bei dem neuen Regenten ganz
aufhören werde. Patriotischen Männern aber, welche den
Sturz der ganzen Vetterherrschaft nicht ungeme sahen,
bangte vornehmlich vor den »Welschen«, von denen man
sagte, daß der neue Herzog ihrer so viele an seinem Hofe
habe
und
daß
sie
sich
so
übermütig
betragen,
so
ausschweifend leben. Die weibliche Jugend Stuttgarts, mit so
mannigfachen Reizen geschmückt, war bisher in aller Zucht
und Ehrbarkeit auferzogen worden; wie sollte es nun werden,
wenn
diese
fremden
Lüstlinge,
in
allen
Künsten
der
Verführung geübt, sich in der Stadt einnisteten? Diese Frage
warf im stillen wohl mancher Vater auf, wenn er mit
Wohlgefallen seine blühende Tochter betrachtete, und schaute
noch besorgter der nahen Zukunft entgegen. Schon geraume
Zeit vor dem Tode Herzogs Ludwig, seit die Gewißheit
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vorhanden war, daß Friedrich sein Nachfolger werden würde,
sprach man im engeren Kreise der Familien wie in den
Wirtshäusern und sonst an öffentlichen Orten von den
Folgen, welche Ludwigs Tod haben werde, und nur wenige
waren, welche sich von der neuen Regierung etwas gutes
versprachen.
Dazu
gehörten
die
Abenteurer
und
Projektenmacher, welche von des Herzogs Vorliebe zu
geheimen
Künsten
und
zu
seltsamen
Unternehmungen
vernommen hatten, und die jungen Leute, welche die
Erzählung von dem lustigen Leben an seinem Hofe und der
Pracht seiner Feste für ihn einnahmen. Dem ehrbaren Bürger
aber und noch mein den Frommen waren solche Dinge ein
Greuel und mit gespannter Erwartung sahen sie der Ankunft
des neuen Landesherm entgegen.
Ein festlicher Tag aber war der 30. September 1593
dennoch, an welchem Herzog Friedrich in seine neue Residenz
einzog. Vom frühen Morgen an war in der Stadt alles auf den
Beinen, der Ton der Trommeln rief die bewaffneten Bürger
auf ihre Versammlungsplätze und lärmend zog die muntere
Jugend hintendrein. Die »ehrsamen, weise und fürsichtigen«
Väter der Stadt, in ihren langen Mänteln gravitätisch
daherschreitend, begaben sich aufs Rathaus, um sich hier
über die Anrede zu besprechen, welche der Bürgermeister
Melchior Kurrer an den Herzog halten sollte. Das Kanzleitor,
welches seit 1575 an der Stelle des alten Tunzhofer Tores
stand, mit seiner weiten und hohen Wölbung, wurde mit
Maien
und
frischem
Tannenreis
verziert.
Auch
die
Kanzleiherren und die Mitglieder des städtischen Ausschusses
versammelten sich allgemach, und im Schlosse herrschte ein
reges Leben, um den neuen Herrscher würdig zu empfangen.
Von Zeit zu Zeit ritt auch ein Edelmann oder »Provisioner«
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mit seinem Gefolge durch die Straßen, denn auch sie waren
zum Empfang des Herzogs aufgeboten worden.
Endlich ertönten die Glocken, ein Zeichen, daß der
herzogliche Zug, welcher am frühesten Morgen Tübingen
verlassen hatte, auf der Höhe der Weinsteige angekommen
sei; die bewaffneten Bürger bildeten Späher, die Edelleute und
Provisioner bestiegen ihre ungeduldig harrenden Rosse, um
dem Herzog entgegenzureiten; die Ratsherren stellten sich am
Kanzleitor, die übrigen Beamten am Schloßtore auf. Durch die
halbgeöffneten Fenster aber blickte manch leuchtendes
Augenpaar; denn obwohl die Väter ihren Tochterlein streng
befohlen
hatten,
sich
beim
Einzug
des
Herzogs
in
bescheidener Ferne zu halten, so siegte die weibliche
Neugierde doch über das Verbot. Warum sollten sie denn die
furchtbaren welschen Menschenfresser nicht wenigstens auch
verstohlen betrachten und wamm den Herzog und seine
Gemahlin, von deren Schönheit man so viel erzählte, nicht
auch sehen?
Melchior Kurrer hatte nicht ohne starkes Herzklopfen seine
Rede vollendet, der Herzog in kurzen Worten gedankt und die
vielgetreue Stadt Stuttgart seiner Gnade versichert, worauf
der lange Zug sich dem Schlosse zubewegte. Voraus ritt die
französische Leibwache Friedrichs, eine stattliche Schar, in
roten, goldgestickten Wämsern, auf schönen Rossen, ihre
Trompeter muntere Weisen blasend; ihnen folgte der Herzog
selbst, auf welchen die Blicke aller gerichtet waren. Er ritt ein
weißes, kostbar geschirrtes Pferd, sein Haupt deckte ein
schwarzseidenes, mit Perlen und Edelsteinen umsäumtes, mit
weißen Federn geschmücktes Barett; sein Leibrock, ebenfalls
von schwarzer Seide, war mit Goldstoff und Spitzen besetzt;
an den Fingern spielten kostbare, kunstreiche Ringe, am
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goldgestickten
Gürtel
hingen
Schwert
und
Dolch
mit
edelsteingeschmückter Seide, ein schwarzseidener Mantel mit
breiten Goldborten hing über seine Schultern. Der Herzog
hatte eine stattliche Figur, einen durch das gefällige Ebenmaß
der Teile ausgezeichneten Körperbau und zeigte in seinen
Gebärden und Bewegungen eine ehrfurchtgebietende Würde
und einen fürstlichen Anstand. Sein Gesicht war länglichrund
und von blühender Farbe; ein zierlicher Bart beschattete Kinn
und Oberlippe und die blauen klaren Augen schauten mild
und verständig unter der schöngewölbten Stirne hervor. Ihm
zur Seite ritten seine beiden Günstlinge, die Hofräte Christoph
von Degenfeld und Christoph Firks. Der letztere war ein
junger liefländischer Edelmann von einnehmendem Äußern,
höfischen Sitten, geschmeidig, klug und gewandt, aber auch
stolz, hitzig und ausschweifend. Die Hofleute, Adeligen und
Provisioner schlossen sich zum Teil dem Herzog an, zum Teil
begleiteten sie die fürstliche Familie, die Hofdamen und
Hoffräulein, die in mehreren schöngebauten Karossen, den
Meisterstücken französischer Kunst, den Reitern folgten. In
der ersten Karosse saß die Herzogin Sybilla, eine geborene
Herzogin von Anhalt, mit ihrer Tochter Sybilla Elisabeth. Die
Herzogin war von hohem, schlankem Wuchs; sie hatte ein
»holdseliges Gesicht«, hellbraune Haare und freundliche Augen
von derselben Farbe, ihr Äußeres wie ihr Benehmen zeigten
Anmut und Milde, und obwohl damals schon Mutter von elf
Kindern, hatte sie doch ihre jugendliche Frische noch nicht
verloren. In der zweiten Karosse erblickte man den elfjährigen
Erbprinzen Johann Friedrich mit seinem Hofmeister Luz von
Mendlingshofen
und
seinen
beiden
Brüdern,
dem
siebenjährigen Ludwig Friedrich und dem fünfjährigen Julius
Friedrich. Den ganzen Zug beschloß eine Abteilung der
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französischen Leibwache.
Der Herzog hatte die Räte des alten Herzogs und die
Abgeordneten der Landschaft wider ihr Erwarten gnädig
aufgenommen. Melchior Jäger ging mit leichterem Herzen
nach Hause, denn er war in seinem Amte bestätigt worden.
Aber freilich geschah dies nur, weil Friedrich nicht gleich zu
Anfang seiner Regierung einen auffallenden Schritt tun wollte;
bald merkte Jäger, daß sein Einfluß dahin sei, und man gab
es ihm auch so deutlich zu verstehen, wie überflüssig er sei,
daß er bald von selbst ging. Auf seine Stelle trat der
geschmeidige, verschmitzte Matthäus Enzlin, ein tüchtiger
Rechtsgelehrter und guter Redner, der sich bald das volle
Vertrauen des Herzogs zu gewinnen wußte.
Das Schloß, worin nun Friedrich seinen Sitz aufschlug, war
nicht mehr das alte, in welchem die Beherrscher Wirtenbergs
seit Eberhard dem Erlauchten gewohnt hatten; es war
derselbe Bau, wie wir ihn noch jetzt als die »imposanteste
malerische Masse der Stadt« erblicken, und wie ihn in den
Jahren 1553 bis 1578 Herzog Christoph und sein Sohn Ludwig
aufführten; von letzterem stammen vornehmlich die beiden
Ecktürme gegen die Stiftskirche und gegen das neue Schloß
her; denn der dritte stand damals noch nicht. An den zweiten
Eckturm schloß sich ein niederer Vorbau, zum Lokal für die
Hofregistratur bestimmt, an, dessen plattes, mit Steinplatten
und Kupfer bedecktes Dach einen Lustgarten mit »allerhand
schönen Bäumchen, wohlriechenden Kräutern und fremden
Gewächsen trug«. Im Hauptbau war hier unten die Tumitz, ein
langer, hoher und breiter Saal, zum Speisen des Hofgesindes
und zu Ritterspielen bestimmt. Im zweiten Stockwerk befand
sich der Rittersaal mit hohen Fenstern, künstlich eingelegtem
Getäfel, vergoldeten Ledertapeten und einem Vorgemach. Den
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übrigen Raum nahmen die Gemächer der fürstlichen Familie
ein. Im nächsten Flügel gegen den Marstall hin ragte der mit
einem Kuppeldach bedeckte Turm der Schloßkapelle empor,
neben welcher sich die Hofapotheke befand. Der dritte Flügel
enthielt den Hauptein-gang vom Schloßplatze her, mit einer
auf den Bau und den Erbauer sich beziehenden Inschrift, eine
geräumige, von Säulen getragene Halle und die Wohnungen
des Hofstaats, auch führte von hier ein Gang in die
gegenüberstehende
Kanzlei.
Im
vierten Flügel
war
die
Bachstube, der Tanzsaal, die beiden Hofküchen mit ihren
kolossalen, das Dach weit überragenden Schornsteinen und
verschiedenen Gewölben für den Küchenbedarf. Gegen den
Hof hin, aus welchem drei Treppen, darunter die breite
Reitschnecke, in die oberen Stockwerke des Schlosses
führten, befanden sich auf drei Seiten dreifache, auf Pfei lern
ruhende Galerien mit kunstreich ausgehauenem Geländer. Ein
breiter, tiefer Graben umgab den ganzen Bau; er war teilweise
trocken und diente zur Aufbewahrung von Tieren, der
Schießgraben auch zu Schießübungen. Der durch eine oben
und unten mit Toren verschlossene Straße vom Schloß
getrennte Lustgarten hatte seit den Zeiten Herzogs Ulrich sich
bedeutend vergrößert und verschönert. Eine Mauer von
weißen Quadern mit Türmen umschloß und mancherlei
Anlagen zierten ihn. Da sah man schattige Gänge von
Platanen, Pappeln und anderen Bäumen, frische, grüne Hage,
mannigfach verschnittene Buchshecken, reiche Blumenbeete,
kühle Lusthaine, Irrgärten, kunstreiche Wasserwerke, Bilder
von Erz und Stein. Neben dem einheimischen Obste prangten
die goldenen Früchte der Pommeranzen-, Orangen-und
Zitronenbäume. Hofleute und Adelige fanden auf zwei
Rennbahnen
genugsam
Gelegenheit, sich in
ritterlichen
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Fertigkeiten zu üben und ihre Geschicklichkeit darin zu
zeigen; den Liebhabern des Ballschlagens gewährte der
Ballonenplatz hiezu einen ebenso schönen als bequemen
Raum. Auch an Gebäuden verschiedener Art und Bestimmung
fehlte es nicht. Nahe dem oberen Eingänge stand die
Hofbäckerei mit einer unterirdischen Mühle, in der untern
Ecke zwischen hohen Bäumen das Reiterhaus, weiterhin
erhoben sich das Schießhaus und ein länglich viereckiges
Gebäude mit runden turmähnlichen Vorsprüngen an allen
Ecken, das 1555 von Herzog Christoph erbaute alte Lusthaus.
Die
größte
Zierde
des
Gartens
aber,
ein
wahres
Prachtgebäude, ließ Herzog Ludwig durch den kunstreichen
Baumeister Georg Beer, einen geborenen Stuttgarter, von 1580
bis 1593 aufführen. Dies war das neue Lusthaus, 275 Fuß
lang und 120 Fuß breit aus glattbehauenen weißen Quadern
mit einem Aufwand von 300000 Gulden erbaut und durch die
geschicktesten deutschen Maler und Bildhauer jener Zeit
ausgeschmückt, mit einem hohen Giebeldache, einem runden
Turme an jeder Ecke und einem rings herumlaufenden, auf
geströmten, korinthischen Säulen ruhenden Gang. Jedes der
zwei Stockwerke des Gebäudes enthielt einen großen, schön
verzierten Saal, von denen der obere, 207 Fuß lang, 61 m
breit und 17 hoch, seinesgleichen in Deutschland nicht hatte.
Vom untern Tor des Lustgartens lief in schnurgerader Linie
eine halbe Stunde weit die Rennbalm das Tal hinab; in seiner
Nähe erhob sich der Wasserturm, der mit seinem Wasser die
Wasserkünste des Lustgartens speiste. Die Baulust der
wirtenbergischen Fürsten aber, namentlich des Herzogs
Christoph, hatte Stuttgart auch sonst mit schönen Gebäuden
geschmückt und bei den wohlhabenden Bewohnern eine
Nachahmung erregt, welcher die Stadt es zu verdanken hatte,
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daß sie jetzt viel stattlicher aussah, als vor hundert Jahren.
Sie war aber auch viel volkreicher geworden, das konnte
am 30. September jeder leicht bemerken, und daß in ihr auch
Wohlhabenheit herrschte, das | schienen am Abende dieses
Tages wenigstens die stark gefüllten Wirtshäuser zu beweisen,
aus denen Gesang und Geschrei, Gläserklingen und anderer
Lärm dem Vorübergehenden entgegenschallte. Was alles da
gesprochen und verhandelt wurde, vermag ich nicht zu
berichten, aber betreten wir einmal vom Markte aus jene von
hochgiebeligen Häusern verfinsterte Straße und treten durch
ein hochgewölbtes Tor in den Hirsch; denn hier scheint es
besonders lebhaft herzugehen. Uns folgen zwei Männer; der
eine mit ernster nachdenkender Miene, dessen Haar sich
schon mit dem Schnee des Alters zu bedecken beginnt, ist
Dr. Ulrich Broll, Landschaftsadvokat, ein wackerer Patriot und
darum hochangesehen in Stuttgart nicht nur, sondern auch
im ganzen Lande; ihn begleitet sein junger Kollege Johann
Bidembach, durch das Ansehen, welches seine Familie genoß,
die Wirtenberg mehr als einen geistlichen Würdenträger
lieferte, noch in blühender Jugend zu seinem wichtigen Posten
erhoben, aber von gediegenem Charakter und ein eben so
furchtloser Kämpfer für des Volkes Wohl als sein älterer
Gefährte. Als sie in die geräumige Wirtsstube traten, wo sie
sich still in einer Ecke niedersetzten, standen die anwesenden
Gäste alle auf, sie ehrerbietig zu grüßen; nur einer blieb
sitzen und schaute die neuen Ankömmlinge stolz an. Dies war
Cäsar Morel, der Leibdiener des Herzogs, ein über seinen
Stand gebildeter Mann, dem man es aber auch in Reden und
Gebärden ansah, daß er sich seines gewichtigen Einflusses bei
Friedrich wohl bewußt war. Ohne sich um die beiden
Landschaftsadvokaten weiter zu bekümmern, fuhr er in seiner
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