1 Herzog Friedrich von Wirtenberg Der neue Landesherr



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gemacht  hatte,  genauer  erfuhr,  gab  er  den  Verhafteten  los; 

doch  mußte  er  schwören,  nirgends  wider  ihn  zu  klagen  oder 

Rache  zu  suchen;  auch  wurde  er  aller  fürstlichen  und 

landschaftlichen  Dienste  für  unfähig  erklärt.  Später  erst  sah 

der  Herzog  sein  Unrecht  ein  und  Bidembach  erhielt  eine  Stelle 

im  Oberrat  und  seiner  Verbindung  mit  Marien  stand  nun  kein 

Hindernis  mehr  im  Wege.  Aber  Firks  wurde  ebenfalls  vom 

gerechten  Strafgerichte  ereilt.  Er  kam  mit  dem  Grafen  Konrad 

von 


Tübingen 

und 


mit 

Matthäus 

Enzlin 

von 


einer 

Gesandtschaftsreise  aus  Frankreich  zurück.  Als  ihr  Wagen  im 

Schwarzwald  bei  Schömberg  eine  steile  Steige  herauffuhr, 

stiegen  sie  aus  und  gingen  zu  Fuß  voran.  Der  Graf  von 

Tübingen  beschmutzte  zufällig  die  Stiefel  des  Hofrats,  der 

darüber  in  solchen  Grimm  geriet,  daß  er  den  Grafen 

herausforderte.  Da  beide  betrunken  waren,  entstand  sogleich 

ein  heftiges  Gefecht,  dem  Enzlin,  welcher  bei  dem  Versuch, 

Frieden  zu  stiften,  verwundet  worden  war,  entfloh.  Firks 

rannte  dem  Grafen  den  Degen  in  die  Brust  und  machte  sich 

schnell  davon.  Indes  nahte  sich  das  Gefolge,  man  verband 

den 


Verwundeten 

und 


brachte 

ihn 


im 

Wagen 


nach 

Schömberg,  wo  er  aber  nach  sieben  Tagen  starb  (den 

25.Januar  1600).  Firks  ging  nach  Kurland;  als  man  aber  seine 

Auslieferung  hier  begehrte,  ritt  er  heimlich  davon  und 

niemand  weiß,  was  aus  ihm  geworden  ist.

William  Shakespeare  in  Stuttgart

Während  seines  Aufenthalts  in  London  hatte  Herzog 

Friedrich  auch  das  Theater  daselbst  besucht  und  großen 

Gefallen  daran  gefunden.  Da  er  nun  die  Nachricht  erhielt,  daß 



-  24  -

eine 


Schauspielergesellschaft 

von 


da 

in 


Deutschland 

angekommen  sei,  lud  er  sie  ein,  auch  seinen  Hof  zu  besuchen 

und  bereitwillig  folgten  die  Engländer  dieser  Einladung.

Schon  ziemliche  Zeit,  ehe  sie  wirklich  kamen,  bildeten  sie 

bei  Hofe  den  Hauptgegenstand  der  Unterhaltung  und  auch  in 

der  Stadt  wurde  viel  von  den  zu  erwartenden  fremden  Gästen 

gesprochen.  Wer  etwas  Genaueres  von  ihnen  erfahren  wollte, 

durfte  nur  in  den  Hirsch  gehen,  wo  Cäsar  Morel,  welcher 

dieses  Wirtshaus  jede  Woche  einige  Male  seines  Besuches 

würdigte,  noch  immer  sich  von  einem  ansehnlichen  Kreise 

von  Zuhörern  umgeben  sah.  So  saß  er  damals  auch  in  der 

Mitte  der  ehrbaren  Bürger  Stuttgarts  und  führte  das  große 

Wort.  »Ihr  habt  vollkommen  recht,  Meister  Komyßel«,  sprach 

er,  »zu  London  da  verstehen  sie  es,  Schauspiele  kunstreich 

aufzuführen,  das  ist  etwas  ganz  anderes,  als  hierzulande.  Ihr 

meint  wunder;  wie  schön  das  sei,  wenn  ihr  auf  dem  Markt  ein 

hölzernes  Gerüst  aufschlagt,  wo  ehrsame  Meister  und 

Handwerksgesellen  oder  gar  Schulbuben  eine  Geschichte  aus 

der  Bibel,  vom  keuschen  Joseph,  vom  Vater  Abraham  usw. 

agieren.  Dort  aber  haben  sie  mehrere,  besonders  dazu 

eingerichtete  Gebäude,  mit  Plätzen  für  das  Volk,  wie  für 

vornehme  Herrschaften,  welche  durch  große  Armleuchter 

erhellt  werden,  und  erst,  wenn  das  Spiel  beginnen  soll,  wird 

ein 


Vorhang 

zurückgezogen, 

und 

man 


erblickt 

die 


Schaubühne.  Die  Schauspieler  aber  sind  darauf  studiert  und 

erhalten  ihren  Sold;  die  solltet  ihr  einmal  agieren  sehen;  ihr 

würdet  darauf  schwören,  ihr  habet  wirkliche  Prinzen  und 

Prinzessinnen,  Junker  und  Fräulein  vor  euch.  Es  ist  jedoch 

ein  lustiges  Volk,  in  dessen  Gesellschaft  es  mir  gar  wohl 

gefiel.«


»Ihr  kennt  sie  also,  Herr  Morel?«  fragte  einer  der 

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Anwesenden.  »Erzählt  uns  doch  auch  etwas  von  ihnen.«

»Das  kann  und  will  ich«,  sagte  der  Leibdiener,  »ist  mir’s 

doch  selbst  eine  angenehme  Erinnerung.  Wir  haben  manche 

Flasche  Sekt  und  manche  Kanne  Doppelbier  miteinander 

geleert,  und  zweimal  hab’  ich  sie  auf  Befehl  Sr.  Durchlaucht 

kostbar  traktiert.  Mit  dem  Parlieren  wollt’  es  freilich  anfangs 

nicht  recht  gehen;  aber  das  hatte  nichts  zu  sagen,  der  Spaß 

war  nur  umso  größer.  Namentlich  war  unter  ihnen  ein  gar 

munterer;  aufgeweckter  Junge,  der  uns  viel  zu  lachen  gab;  sie 

nannten  ihn  nur  den  lustigen  William,  ein  feines  Bürschchen 

von  mittlerer  Größe,  mit  einem  hübschen  Gesicht  und 

glänzenden,  feurigen  Augen.  Ich  freu’  mich  wahrhaftig  recht 

sehr,  den  lustigen  William  wieder  zu  sehen.«

»Aber  was  spielen  sie  denn?«  fragte  ein  anderer.

»Was  sie  spielen?«  erwiderte  Morel,  -  »ganz  wunderschöne 

Stücke,  bald  lustige,  bald  traurige,  und  die  schönsten,  die  ich 

sah,  hatte  mein  Freund  William  verfaßt;  der  versteht  es 

meisterhaft,  die  Zuschauer  bald  zum  Lachen,  bald  zum 

Weinen  zu  bringen,  und  seine  Personen  sprechen  ganz 

natürlich,  jede  nach  ihrem  Stand,  ihrer  Art  und  Weise.  Da 

kommt  so  ein  dicker  Kerl  vor,  ich  glaube,  sie  nannten  ihn 

Fallstaff,  ein  wahres  Weinfaß,  ein  gewaltiger  Fresser  und 

Säufer,  der  den  Eisenfresser  spielt  und  im  Grunde  doch, 

wenn  es  gilt,  eine  feige  Memme  ist.  Am  besten  aber  hat  mir 

das  Stück  gefallen,  in  welchem  ein  Prinz  von  Dänemark 

erscheint,  der  mit  seines  ermordeten  Vaters  Geist  spricht. 

Diesen  Geist  spielte  mein  Freund  William  so  gut,  daß  es 

wirklich  schauerlich  anzuhören  und  anzusehen  war  und 

einem  ganz  kalt  über  den  Rücken  lief.  Sein  eigener  Bruder 

hatte  diesen  König  von  Dänemark  getötet,  dafür  aber 

befördert  dann  ihn  der  Prinz  auch  aus  dem  Leben,  stirbt 



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jedoch  ebenfalls,  von  einem  vergifteten  Degen  getroffen.«

»Das  ist  ja  eine  grausame  Geschichte«,  sagte  Meister 

Komyßel,  »wo  zuletzt  alles  umkommt.«

»Das  nennen  sie«,  fuhr  Morel  fort,  indem  er  eine  noch 

wichtigere  Miene  annahm  als  zuvor,  -  »eine  Tragödie;  wenn 

das  Stück  aber  lustig  ausgeht,  heißt  es  eine  Komödie.  Um 

aber  so  etwas  zu  erfahren,  muß  man  freilich  mit  hohen 

Herrschaften  reisen  und  nicht  mit  dem  Stock  in  der  Hand 

und  dem  Wanderbündel  auf  dem  Rücken  herumziehen.  Doch 

ich  verweile  mich  zu  lange;  heute  nacht  kommen  die 

englischen  Schauspieler  und  da  ist  noch  so  vieles  zu  rüsten 

und  zu  besorgen.  Darum  guten  Abend!«

Die  Bürger  unterhielten  sich  noch  einige  Zeit  über  die 

Wunderdinge,  welche  sie  eben  gehört  hatten;  dann  aber 

brachen  sie  auch  auf,  um  zu  Hause  die  wichtige  Neuigkeit 

von 

der 


bevorstehenden 

Ankunft 


der 

Fremden 


zu 

verkündigen.

Die  Engländer  kamen  wirklich  auch  noch  in  derselben 

Nacht,  den  10.  Mai  1597,  zu  Stuttgart  an;  der  Leibdiener  aber, 

um  seinen  Herrn  beschäftigt,  konnte  sie  nicht  sogleich 

begrüßen.  Er  ging  daher  am  andern  Morgen  früh  in  das 

Lusthaus,  wo  schon  eine  emsige  Tätigkeit  herrschte,  weil  im 

großen  Saale  desselben  die  Schaubühne  für  die  Engländer 

aufgeschlagen  wurde.  Die  Arbeiten  dabei  leitete  der  Hofrat 

Benjamin  von  Bouwinghausen  zu  Walmerode,  ein  sehr 

gebildeter,  mehrerer  neuen  Sprachen  kundiger  Mann,  welchen 

der  Herzog  vornehmlich  zu  Sendungen  ins  Ausland  brauchte 

und  der  auch  als  Gesandter  in  London  gewesen  war.  Der 

erste  seiner  englischen  Freunde,  den  Morel  erblickte,  war  der 

unter  dem  Namen  des  lustigen  Wilhams  uns  schon  bekannte 

Shakespeare.  Ihn  zärtlich  umarmend,  sprach  der  Leibdiener: 



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»Es  freut  mich  ungemein,  Euch  auch  einmal  wieder  zu  sehen 

und  zwar  frisch  und  gesund;  es  muß  Euch  indes  gut 

gegangen  sein.  Was  macht  denn  der  wilde  Eberskopf  in 

Eastcheap,  geht  es  immer  noch  recht  lustig  her?«

Der  Angeredete  sprach  lächelnd:  »Willkommen,  großer 

Cäsar!  Unüberwindlich  im  Kampf  mit  Sekt  und  Doppelbier! 

Euer  Anblick  erquickt  mein  Herz;  denn  ich  glaubte  schon,  die 

salzige  Flut  des  Ozeans  habe  Euch  verschlungen.  Aber 

gottlob!  ich  sehe,  daß  ihr  ganz  wohlauf  seid  und  Euch  der 

Rede  tönender  Schwall  noch  immer  frisch  von  den  Lippen 

strömt.«


»Ha!  ha!«  lachte  Morel,  »Ihr  seid  noch  immer  der  alte 

Spaßvogel;  aber  sieh’,  da  treff  ich  ja  noch  mehr  alte 

Bekannte;  willkommen  Herr  Burhage,  willkommen  Herr  Green, 

willkommen  all’  ihr  Herren!  Ich  hoff,  es  soll  euch  wohl 

gefallen  hierzulande!«

»Der  erste  Empfang  wenigstens  war  ganz  vortrefflich«, 

erwiderte  Green,  »und  wenn  der  Humor  so  fortgeht,  so  reut 

es  uns  nicht,  hieher  gekommen  zu  sein.  Wir  haben  uns  in 

dem  Garten  da  ein  wenig  umgesehen,  und  wahrhaftig,  ich 

muß  gestehen,  daß  der  Park  zu  Windsor  nichts  Schöneres 

aufzuweisen  hat;  dieser  Saal  hier  würde  das  Schloß  des 

mächtigsten  Monarchen  zieren.«

»Da  habt  Ihr  recht,  vollkommen  recht«,  sprach  Morel,  »und 

was  den  Humor  betrifft,  wie  Ihr’s  nennt,  der  soll  immer  noch 

besser  werden.  Ich  bin  gerade  gekommen,  um  euch,  ihr 

Herren,  zum  Morgenimbiß  einzuladen.«

Das  war  den  Fremden  gar  nicht  unangenehm.  -  »Voran,  Du 

Römerheld!«  sagte  Shakespeare,  »wir  folgen  Dir  und  führtest 

Du  uns  zu  den  finstersten  Schatten  des  wilden  Erebus! 

Schaffst  Du  nur  Wein  und  saft’gen  Braten  uns.«



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»William  ist  heute  wohl  aufgelegt«,  sprach  im  Fortgehen 

Burbage  zu  Green,  -  »wir  bekommen  heute  gewiß  noch  viel 

über  den  hochmütigen  Lakaien  zu  lachen.«

Nach  der  Mittagsmahlzeit  erschien  Herzog  Friedrich  selbst, 

von  Bouwinghausen  und  einigen  Hofleuten  begleitet,  im 

Falkenhause,  welches  er  zur  Aufnahme  der  fremden  Gäste 

hatte  einrichten  lassen.  Er  war  sehr  freundlich  und  sprach 

mit  jedem  von  ihnen,  am  längsten  mit  Shakespeare.  »Seit  wir 

England  verließen,  habt  Ihr«,  sagte  er,  »wie  ich  von 

Bouwinghausen  höre,  wieder  mehrere  neue  Stücke  gedichtet; 

hoffentlich  werdet  Ihr  während  Eurer  Anwesenheit  in  Stuttgart 

auch  einige  davon  aufführen.«  -  Der  Dichter  versprach  dies 

und  Friedrich  fuhr  fort:  »Was  macht  Euer  Freund  Ben 

Johnson,  schreibt  er  auch  noch  für  die  Bühne?«

»Er 


ist 

wohlauf, 

Durchlauchtigster 

Herr«, 


antwortete 

Shakespeare,  »und  erinnert  sich  noch  immer  dankbar  an  die 

große  Gnade,  welche  Eure  Durchlaucht  ihm  erzeigten.« 

Nachdem  der  Herzog  nun  noch  seinem  Leibdiener  befohlen 

hatte,  den  Engländern  nichts  abgehen  zu  lassen,  kehrte  er  ins 

Schloß  zurück.

Schon  am  nächsten  Tage  war  die  Schaubühne  im  großen 

Saale  des  neuen  Lusthauses  ebenso  schnell  als  schön 

eingerichtet, 

und 


am 

Abende 


noch 

wurde 


die 

erste 


Vorstellung 

hier 


gegeben. 

Der 


ganze 

Hof 


war 

dabei 


gegenwärtig,  auch  hatte  Friedrich  die  in  Stuttgart  anwesenden 

Adeligen,  die  Kanzleiherren  und  die  vornehmsten  Bürger  der 

Stadt  dazu  einladen  lassen.  Obwohl  nun  die  wenigsten  von 

ihnen  verstanden,  was  die  Schauspieler  sprachen,  so  konnten 

sie  nachher  doch  nicht  genug  Worte  finden,  um  zu  erzählen, 

wie  alles  so  kostbar  und  prächtig  gewesen  sei.  -  Auch  einige 

ungebetene  Gäste  hatten  sich  durch  Begünstigung  der 


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Hofdiener  eingeschlichen;  unter  ihnen  gab  Gretchen,  die 

Tochter  des  Meisters  Komyßel,  welche  der  Leibdiener  aus 

Freundschaft  für  ihren  Vater  eingeschmuggelt  hatte,  die 

aufmerksamste  Zuhörerin  ab.

Als  sie  wieder  nach  Hause  kam,  rief  ihr  die  Mutter 

entgegen;  »Hast  jetzt  dein’  Naseweisheit  b’friedigt,  Mädle? 

Aber  was  ist’s  denn  mit  der?«  fuhr  sie  fort,  als  sie  das 

weinende  Mädchen  genauer  ansah,  »du  heulst  ja  wie  a 

Schloßhund.  Die  welsche  Possereißer  werdet  der  doch  nix  tau 

han?«  -  »Ach!  Muet-ter«,  antwortete  Gretchen,  »mir  ist  nix 

g’schea,  aber  die  G’schicht  mit  dem  schönen  Freie  und  dem 

schmucke  Herre,  die  ist  grausig  -«  und  damit  begann 

Gretchen  von  neuem  zu  weinen  und  zu  schluchzen.  -  »Was 

ist’s  denn  mit  dene,  was  hense  und  was  ist  en  g’schea?« 

fragte  die  Mutter.  -  »Was  wird  en  g’schea  sei«,  war  die 

Antwort,  »er  hot  en  giftige  Trank  nag’schluckt,  und  sie  hot  se 

a  Messer  in  Leib  g’stoßa.«  -  »Ist’s  möglich!«  rief  die  Mutter, 

»so  ebbes  hot  g’schea  könne,  wo  der  Herzog  und  so  viel 

vornehme  Herre  dabei  g’wea  sind,  die  hent’s  g’litte?  Ach!  du 

meine  Güte,  was  ist  wirklich  für  a  Welt!«

»Das  ist  nur  so  zum  Schein  geschehen,  werte  Frau 

Meisterin«,  unterbrach  hier  eine  dritte  Person  das  Gespräch. 

Es  war  der  hochgelehrte  Benedikt  Quällenzer,  wohlbestallter 

Schulmeister  zu  Stuttgart,  zugleich  ein  großer  Poet  und 

Meister  in  der  Kunst,  Reime  zu  schmieden,  threnodias, 

epicedia,  hymenaeos,  epitha-lamia  und  andere  artificiöse  und 

sinnreiche 

Carmina, 

wie 


er 

selbst 


zu 

sagen 


pflegte. 

»Dergleichen  kommt  auf  den  theatris  oft  vor,  absonderlich  in 

den  tragoediis,  wo  es  bisweilen  hergeht,  daß  man  gleichsam 

mit  jenem  Alten  ausru-fen  könnte:  Ubi  est  Alexander 

magnus?  Mortuus  est.  Ubi  est  Helena?  Mortuus  est.  Omnia 


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mortuus  est.  Die  histriones  aber,  welche  dergleichen  agieren, 

stehen  nach  vollendeter  tragoedia  wieder  gesund  und  frisch 

ai£.  Aus  dem,  was  Eure  Tochter  hier  gesprochen  von  einem 

doppelten  suitidio,  kann  ich  schon  merken,  daß  ein  wichtiger 

Casus  tragicus  aufgeführt  wurde,  wie  deren  in  historia  et 

mythologia  gar  viele  Vorkommen.«

»Herr  Schulmeister«,  unterbrach  ihn  die  Meisterin,  »i  han’s 

üch  jo  schon  oft  g’sait,  daß  e  von  Eurem  Kauderwelsch  nex 

verstand.  Sei  merke,  daß  se  koin  Stück  aus  der  Bibel 

aufg’spielt  hent;  wissa  aber  möcht’  e,  was  es  denn  so 

eigentlich  g’wä  ist.«  -  »Ja!  gucket  Muetter«,  sprach  Gretchen, 

welche  sich  indes  wieder  ein  wenig  gefaßt  hatte,  »von  dem 

Gewälsch  hau  e  net  a  Brösele  verstände,  z’erste  aber  do  hent 

se  einander  gar  totschlage  wolle;  aber  a  Prinz  ist  komme  und 

hat’s  en  g’wehrt;  no  send  se  wieder  gut  g’wä,  hent  g’malte 

G’sichter  vorbunde,  tanzt  und  musiziert;  au  ist  a  paarmol  a 

Kapuziner  komma,  des  schöne  Freie  aber  und  den  schmucke 

junge  Herre  hot  mer  net  z’samma  lassa  wölla  und  doch  hent 

se  anander  grausig  lieb  g’het.  Druf  ist  se  g’storba  und  se 

hent  se  uf  m  Kirchhof  in  a  G’wölb  g’legt;  aber  was  g’schieht, 

er  kommt  und  au  a  anderer  junger  Herr,  die  fanget  Händel 

mitanander  an  und  er  versticht  en;  no  zieht  er  en  Gläsle  mit 

Gift  raus  und  verschluckt’s.  Wie  er  no  so  maustot  do  leit, 

wacht  auf  oimal  sei  Schatz  wieder  uf,  fängt  an  z’jammem  und 

versticht  se.«  -Hierauf  aber  erwiderte  die  Mutter  ganz 

unwirsch:  »Des  sind  rechte  Narreteia,  wie  könnet  no 

Christamenscha  so  ebbes  treiba  und  anseha;  Mädle,  Du  derfst 

mer  nemma  he!«

»Ihr  habt  wohl  gesprochen,  Frau  Meisterin«,  begann  hierauf 

Benedikt  Quällenzer  wieder;  »der  Autor  solcher  Tragödie  muß 

den  Aristotelem  nicht  studiert  haben,  sonst  würde  er  nicht 



-  31  -

also  comica  mit  tragicis  vermischen,  das  versteh’  ich  besser, 

und  weil,  wie  es  scheint,  Seine  Durchlaucht  die  Tragödie 

lieben,  so  will  ich  alsbald  eine  echte  tragoediam  verfassen, 

deren  Gegenstand  auch  der  Tod  zweier  Amanten  sein  soll;  die 

werd’ 


ich 

denn 


Seiner 

Durchlaucht 

alleruntertänigst 

überreichen  und  mir  die  hohe  Gnade  ausbitten  sie  mit  einigen 

guten  Freunden  vor  derselben  agieren  zu  dürfen.  Ja,  das  will 

ich!«  rief  der  Poet,  hocherfreut  über  seinen  klugen  Einfall, 

und  war  verschwunden,  ehe  noch  die  Meisterin  Worte  finden 

konnte,  ihn  von  seinem  närrischen  Vorhaben  abzubringen.

Das  Trauerspiel  »Romeo  und  Julie«  -  denn  daß  dieses 

aufgeführt  worden  war,  haben  meine  schönen  Leserinnen  aus 

Gretchens  meisterhafter  Darstellung  schon  gemerkt  -  hatte 

großen  Beifall  beim  Herzog  und  allen  Kennern  erlangt,  und 

am  nächsten  Tage  war  Shakespeare  um  eine  schwere  goldene 

Kette,  die  ihm  Friedrich  verehrte,  und  um  eine  feurige 

Umarmung  seines  Freundes  Cäsar  reicher.  Letztere  mochte 

ihm  minder  behagen  als  erstere;  denn  als  er  sich  aus  des 

Leibdieners  ihn  umklammernden  Armen  wieder  ffeige-macht 

hatte,  rief  er:  »Zum  Teufel,  Ihr  seid  tüchtig  armiert,  Held 

Cäsar,  Ihr  könntet  gleich  dem  Herkules  einen  Antäus 

ersticken.«  Seine  Gefährten  lachten,  und  Morel,  obwohl  er  die 

Anspielung  nicht  recht  verstand,  lachte  mit  ihnen;  dann 

setzten  sie  sich  zum  Mahle  nieder,  bei  dem  wir  sie  lassen 

wollen,  um  nach  unserem  begeisterten  Poeten  zu  sehen.

Benedikt  Quällenzer  hatte  bald  einen  Stoff  gefunden,  von 

dem  er  überzeugt  war,  derselbe  werde  ein  würdiges 

Gegenstück  zu  Shakespeares  Trauerspiel  liefern  und  sich  nun 

flugs  auf  den  Pegasus  gesetzt,  welcher,  die  Sporen  des  Reiters 

fühlend,  pfeilschnell  mit  ihm  davoneilte.  So  war  denn  das 

Meisterstück  bald  fertig;  er  hatte,  wie  in  dem  trefflichen 


-  32  -

Prologus  zu  der  trauer-  und  schauervollen  Tragödie  weiter 

auseinandergesetzt  wurde,  die  schreckliche  Geschichte  des 

Pyramus  und  der  Thisbe  zum  Gegenstand.

Wie  beide  sich  zu  Rini’s  Grab  bestellt,  allein 

Die  treue  Thisbe,  die  des  Nachts  zuerst  gekommen,

Ein  gräßlich  wildes  Tier,  mit  Namen  Löwe  groß,

Tat’  schmähen,  ja  vielmehr  erschrecken,  daß  sie  bloß 

Den  Mantel  fallen  ließ  und  d’rauf  die  Flucht 

genommen, 

D’rauf  dieser  schnöde  Löw'  in  seinen  Rachen  nahm 

Und  biß  mit  Blut  besteckt  den  Mantel  lobesam,

Sofort  kommt  Pyramus,  ein  Jüngling  weiß  und  rot,

Und  find’t  den  Mantel  da,  von  seiner  Thisbe  tot.

Worauf  er  mit  dem  Deg’n,  dem  blutigbösen  Degen 

Die  blut’ge  heiße  Brust  sich  tapferlich  durchstach.

Und  Thisbe,  die  indes  im  Maulbeerschatten  g’legen,

Zog  seinen  Dolch  hervor  und  sich  das  Herz  zerbrach.

Wohlgefällig  überlas  Quällenzer  sein  Werk,  schrieb  es  dann 

sehr  zierlich  ab  und  überbrachte  es  dem  ihm  ebenfalls 

bekannten  Leibdiener  mit  einem  Zueignungsbericht  an  den 

Herzog,  dessen  Anfang  wenigstens  ich  dem  geneigten  Leser 

nicht  vorenthalten  will.

Es  lautete  also:

Durchlauchtigst  Oberhaupt  und  Vater  dieser  Landen,

Fürst  Friederich,  o  Sonn’,  die  bis  daher  gestanden 

In  vollem  Licht  ob  uns,  und  Davids  Zeiten  gleich,

Ja  über  die  regiert,  an  allem  Segen  reich,

Durch 

manche 


trübe 

Wölk’ 


und 

finster 


Luft 

-  33  -

gedrungen,

Die  endlich  selbst  den  Neid  durch  Gottes  Hilf 

bezwungen,

Und  so  bisher  dem  Land  in  vollem  Glanze  strahlt,

Wie  man  die  schöne  Sonn’  in  ihrer  Zierde  malt,

Glückseliger!  (dies  Wort  wir  zu  dem  Namen  setzen 

Mit  vollem  Recht)  laßt  uns,  laßt  uns  an  Euch  ergötzen,

Uns,  Eure  Diener,  laßt  im  Schmuck  der  grauen  Haar’,

Im  Jugendschmuck  und  Glanz  Euch  schauen  noch  viel 

Jahr.

Der  Herzog  nahm  Quällenzers  Meisterstück  gnädig  auf  und 



gestattete  ihm,  es  vor  dem  Hof  und  seinen  englischen  Gästen 

aufzuführen.  Mit  großem  Eifer  begann  der  Schulmeister  nun 

die  dazu  nötigen  Vorbereitungen;  die  wenigen,  zur  Agierung 

seiner  Tragödie  nötigen  histriones,  um  mich  seiner  eignen 

Ausdrücke  zu  bedienen,  hatte  er  bald  gefunden;  denn  die 

Rolle  des  Pyramus  übernahm  er  selbst,  die  Thisbe  mußte  sein 

Schulgehilfe  Balthasar  Rennmayer  darstellen,  da  er  noch  gar 

jung  und  bartlos  war,  und  Meister  Komyßel,  der  eine 

gewaltige  Baßstimme  hatte,  ließ  sich  leicht  überreden,  als 

Löwe  aufzutreten.  Seine  Frau  wollte  anfangs  zwar  nicht 

leiden,  daß  er  solche  Narrenpossen  treibe;  als  ihr  aber  der 

Schulmeister  vorstellte,  wie  der  Meister  dadurch  dem  Herzog 

und  dem  Hofe  bekannt  werde  und  einen  bessern  Verdienst 

erlangen  würde,  überdies  noch  eine  gute  Belohnung  zu 

erwarten  habe,  ließ  auch  sie  es  sich  gefallen.  -  Bei  der 

Aufführung  ging,  wie  wenigstens  Quällenzer  versicherte,  alles 

vortrefflich;  der  Löwe  brüllte  so  gewaltig,  daß  die  zarten 

Hoffräulein  die  Ohren  zuhielten,  Thisbe  fistulirte,  daß  man  die 

feinste 

Mädchenstimme 

zu 

hören 


glaubte, 

und 


der 

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