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Salpeter zu bereiten wüßte. Deswegen vornehmlich nahm
dieser ihn in seine Dienste und bezahlte ihn reichlich, weil er
hoffte, demnächst ganz Deutschland mit Salpeter versehen zu
können.
Als Calomo gerade in der höchsten Gunst war, kam nach
Stuttgart Maggino Gabrieli, der sich den Generalkonsul einer
Gesellschaft hebräischer Kaufleute nannte, für welche er um
Handelsfreiheit im Land nachsuchte. Der große Judenkünstler
unterstützte seinen Stamm- und Glaubensgenossen aufs
Nachdrücklichste und bewirkte, daß der Herzog dem Gabrieli
und seiner Gesellschaft auf 15 Jahre die nachgesuchte Freiheit
erteilte, ihm ein eigenes Haus in Stuttgart einräumte und den
Juden eine Niederlage in Neidlingen, wo sie auch zwei
Jahrmärkte sollten halten dürfen, anwies. Das gab einen
großen Lärm in Wirtenberg, wo seit den Zeiten des Herzogs
Eberhard im Bart die Juden als »nagende Würm« von allem
Handel und Verkehr ausgeschlossen waren. Die Landstädte
überschickten dem Herzog eine Vorstellung dagegen, in
welcher sie ihn ernstlich ermahnten, die Juden als Feinde
Christi nicht ins Land zu lassen; denn er würde davon keine
Vorteile haben, weil dieselben das Betrügen viel weniger
lassen könnten, als die Katze das Mausen, auch Kundschafter
und Landesverräter seien und durch ihr gefährliches,
unehrliches und unziemliches Gewerbe das Volk verderbten,
zu üppigem, verschwenderischem Leben und sogar zum
Stehlen antrieben. Das Konsistorium bewies ihm, daß die
Christen nächst dem Teufel keine ärgeren Feinde als die
Juden hätten, Bürgermeister und Rat der Stadt Stuttgart aber
drückten die Besorgnis aus, wenn man die Juden sich in
Stuttgart festsetzen lasse, würde der Bürgerschaft dadurch die
größte Unlust und arge Beschwerde aufgeladen werden und
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baten daher dringend, die Stadt von diesem Volke zu
verschonen. Am meisten aber ereiferte sich der Hofprediger
Osiander, der längst schon mit tiefem Schmerz und gewaltiger
Entrüstung dem Treiben am Hofe, dem Unfug der Goldmacher
und anderer Abenteurer zugeschaut hatte. Es drückte den
guten Alten schwer, daß die, welche zunächst verpflichtet
waren, abzuraten, daß die geheimen und Oberräte zu solchen
Dingen schwiegen; er konnte sich nicht länger halten und
erließ daher am 13. März 1598 ein sehr eindringliches
Schreiben an den Herzog.
Eine so freie Sprache hatte noch niemand gegen den
Herzog zu führen gewagt und dieser geriet darüber in
gewaltigen Zorn. Des Herzogs Antwort an Osiander war
höchst ungnädig, drohend und hart. Osiander wurde dazu
noch vor den Oberrat gefordert, wo er einen scharfen
Verweis erhielt und, da er weder Abbitte noch Fußfall tun
wollte, des Landes verwiesen.
Mit Calorno nahm es jedoch dasselbe Ende, wie mit andern
Betrügern
seiner
Art;
er
vermochte
seine
großen
Versprechungen nicht zu erfüllen und leugnete, als ihn der
Herzog nun verhören ließ, diese durchaus ab. Friedrich
befahl, ihn deswegen wohl zu verwahren; dennoch wußte
Calorno verkleidet aus der Stadt zu entkommen und obgleich
man ihm sogleich Reitende und Steckbriefe nachschickte,
konnte man seiner doch nicht mehr habhaft werden (im März
1599). Seine Stammes- und Glaubensgenossen zu Neidlingen
hatten das Land schon früher wieder verlassen, weil die
vielen Beschränkungen, den ihr Handel unterworfen wurde,
ihnen alle Aussicht auf Gewinn raubten.
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Der Kampf und das Ende
An einem trüben Wintertage des Jahres 1606 saßen in dem
Sitzungszimmer des Oberrats im obern Stocke der Kanzlei zu
Stuttgart zwei Männer im eifrigen Gespräch miteinander
begriffen. Der Gegenstand ihres Gesprächs mußte ein sehr
wichtiger sein, denn ihre Mienen waren ernst und mehr als
einmal versanken sie in tiefes, stilles Nachdenken. Man sah
es beiden deutlich an, daß sie seit einer Reihe von Jahren
sich den Staatsgeschäften widmeten, daß sie am Schreibtisch
zwischen Aktenbündeln mehr Zeit zugebracht hatten, als in
der heitern Gesellschaft sorgloser Weltleute; ihre glanzlosen
trüben Augen bezeugten, wie manche Stunde sie dem
nächtlichen Schlaf gestohlen und in anstrengender Arbeit
durchwacht hatten. In ihren Gesichtem lag etwas finsteres,
zurückstoßendes,
die
zarteren,
wärmeren
Gefühle
der
Freundschaft und Liebe schienen ihnen fremd, die Furchen in
ihrem kalten, ernsten Antlitz aber hatten auch nicht Gram
und Kummer, sondern die gewaltigen Leidenschaften, welche
in ihrem Innern glühten, Ehrgeiz, Herrschsucht und Geldgier
gezogen; Leidenschaften, welche so manchen verleiten, das
Glück seines Lebens, die Ruhe seines Gewissens und seinen
guten Ruf dem nichtigen Schimmer von Macht und Glanz
aufzuopfem. Es waren die zwei bedeutendsten Staatsmänner
Wittenbergs aus der damaligen Zeit, der Geheimerat Matthäus
Enzlin und der Kanzler Johann Jakob Reinhard.
»Darin, denk’ ich, sind wir einig«, hub Enzlin an, »daß es
anders werden muß, wenn der Herzog freier, unbeschränkter
soll handeln, wenn die großen Plane, mit denen wir umgehen,
sollen ausgeführt werden können. Diese Landstände treten
uns überall hemmend in den Weg; sie sind gar zu lästige
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Aufpasser, gar zu zudringliche Mahner; immer führen sie die
Verfassung, die alten Landesverträge im Munde; keinen
Schritt kann man vorwärts tun, den sie nicht bekrittelten,
keine Beisteuer von ihnen erlangen, für welche sie nicht die
Abstellung einer Menge oft so kleinlicher, oft ganz grundloser
Beschwerden
begehrten.
Und
vollends
ihre
langsame
Bedächtlichkeit, welche dem raschen Vorwärtsschreiten des
Herzogs nichts als Hindernisse in den Weg legt. Wie
ungeduldig er darüber, wie unwillig über die ewigen Wünsche
und Beschwerden er schon geworden ist, welche Vorwürfe wir
deswegen schon von ihm zu hören hatten, das wißt Ihr, Herr
Kanzler, so gut als ich. Wahrhaftig, wir verlieren noch
Ansehen, Ehre und Geld darüber, wenn es nicht anders wird.
Die Hofleute liegen so dem Herrn immer in den Ohren, wir
vernachlässigten unsere Pflicht, hielten es heimlich mit den
Landständen und wagten deshalb keinen entscheidenden
Schritt gegen dieselben. Sie können gut schweigen, diese
Müßiggänger und leeren Köpfe, welche nur ihrem Vergnügen
nachgehen, während wir uns den kostbaren Schlaf rauben,
um für ihr und des Herrn Wohlergehen zu wirken. Sie
glauben Wunder was getan zu haben, wenn sie einmal ihr
schwaches Gehirn anstrengen, um eine neue Lustbarkeit zu
erfinden, das ernste, wichtige aber überlassen sie uns, den
Geplagtesten aller Sterblichen.«
»Ihr wißt, daß ich über diese unnützen Geschöpfe wie Ihr
denke, Herr Geheimrat, aber wir dürfen es mit ihnen nicht
verderben; sie, die immer um den Herrn sind, könnten uns
gewaltig schaden, denn ein beleidigter Hofinann ist ein
furchtbarer Feind«, entgegnete der Kanzler.
»Leider sprecht Ihr die Wahrheit«, sagte Enzlin; »wir müssen
sie
schonen;
aber
machen
wir
uns
dem
Herzoge
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unentbehrlich, verleiten wir ihn zu Schritten, welche ihn ganz
in unsere Hände geben, dann werden dieser Zwang, diese
Knechtschaft ein Ende nehmen, und er wird lieber ein
Dutzend jener lockeren Gesellen aufopfem, als den Beistand
nur eines von uns verlieren wollen. Dazu ist nun der
sicherste Weg: wenn wir ihn von seinen lästigen, verhaßten
Mitregenten, den Landständen, befreien, wenn wir ihm
unumschränkte Herrschergewalt verschaffen. Der Herrscher,
welcher die Schranken der Gesetze und der Verfassung
durchbricht, kommt immer in eine gewisse Abhängigkeit von
den Werkzeugen, deren er sich bediente.«
»Da habt Ihr vollkommen recht«, erwiderte Reinhard, »und
es fragt sich nun: Wie greifen wir es an, um dem Regiment
der Landschaft ein Ende zu machen? Die Geldverlegenheit des
Herzogs macht, wie Ihr wißt, die baldige Eröffnung des
Landtags notwendig, und hier muß ein entscheidender Schlag
geschehen.«
»Ich fürchte nur, wir werden wenig ausrichten«, war die
Antwort, »so lange Ulrich Broll Landschaftsadvokat ist und
Männer wie der Prälat von Adelberg und der Bürgermeister
im Ausschuß sitzen. Wäre es nicht besser, wir schaffen diese
noch vor dem Landtag auf die Seite?«
»Keine Übereilung«, sprach sein ruhigerer Genosse, »das
gäbe böses Blut im ganzen Lande; versuchen wir es lieber
einmal, ob wir den Starrsinn dieser Leute brechen, ob wir
dennoch in der Versammlung die Stimmenmehrheit erlangen
können; wenn es nicht geht, ist es noch immer Zeit genug,
zu dem von Euch vorgeschlagenen Mittel zu greifen.«
»Ihr habt recht«, erwiderte Enzlin, »wir müssen anfangs
etwas behutsamer auftreten, wenn wir nicht unserer Sache
selbst schaden wollen. Aber dabei bleibt’s, wir wagen einen
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entscheidenden Schritt.«
Hiemit endete das Gespräch; die Verschwörer gegen des
Landes Wohl und die Verfassung reichten einander die Hände
zu ihrem frevelhaften Bunde und gingen jeder seinen
besonderen Geschäften nach.
Wenige Tage später erging das herzogliche Ausschreiben,
welches die Landstände auf den Januar des Jahres 1607
zusammenberief; mit ihnen sollten aber auch die herzoglichen
Amtleute erscheinen, welche emsdich angewiesen wurden, das
Vorhaben und den Vorteil des Herzogs nach ihren Pflichten
und ihrem besten Vermögen zu fördern. Dieses Ausschreiben
wurde der Gegenstand der Unterhaltung im ganzen Lande, in
Privatzirkeln, wie an öffentlichen Orten, »auf den Märkten, in
den Wirtshäusern und bei Gastereien« sprach man davon.
Gutes erwarteten wenige von dem Landtage; denn das
gegenseitige Verhältnis zwischen dem Herzog und den
Landständen, das Benehmen des ersteren gegen die letzteren,
der scharfe, gebieterische Ton, welchen er neuerdings in
seinen
Verhandlungen
mit
ihnen
angenommen
hatte,
erweckten wenig Hoffnungen, aber desto mehr Besorgnisse.
Als man noch dazu erfuhr, daß Enzlin und Reinhard zu
herzoglichen Kommissären ernannt worden seien, da sanken
vollends die Erwartungen tief herab. Man sah voraus, daß es
einen scharfen Kampf geben werde; doch gewährte es noch
einigen Trost, daß Ulrich Broll jenen zwei im Lande allgemein
verhaßten Beamten gegenüberstehen sollte. Der Herzog selbst
nämlich hatte dem ständischen Ausschuß geboten, zwei
rechtsverständige Landeseingeborene zu Rechtsbeiständen zu
wählen, da ja doch »schlecht verständige Leute« auf den
Landtag kämen, die Prälaten aber mehr Theologen als
Staatsmänner seien. Sie aber wählten nun neben einem
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Tübinger Rechtsgelehrten den Landschaftsadvokaten.
In dem Hause an der Ecke der Schulgasse, welches wir
schon aus dem Anfänge dieser Erzählung kennen, hatten sich
eines Tages drei Männer zusammengefunden, welche die
besorgliche Lage des Vaterlandes eifrig besprachen. Es waren
gerade die, welche Enzlin als die gefährlichsten Gegner
bezeichnet hatte: Ulrich Broll, Felix Bidembach, Prälat von
Adelberg, und Christoph Mayer, Bürgermeister zu Stuttgart.
Allen drei sah man es an, daß sie die erste Hälfte ihres
Lebens schon zurückgelegt, daß sie für das Gemeinwohl viel
gearbeitet und gewacht hatten, aber in ihren Physiognomien
lag ein ganz anderer Ausdruck als in denen der beiden
herzoglichen Minister. Es war der ruhige, milde Ausdruck des
guten Gewissens, des tröstenden Bewußtseins, stets redlich das
Beste des Landes gewollt zu haben; mehr als eine Furche
hatte die Zeit, keine aber Ehrgeiz und Geldgier in ihren
Gesichtem
gezogen.
Wenn
Enzlins
verschmitzter
und
Reinhards stechender Blick Widerwillen und Furcht erregten,
so erweckte dagegen die ehrliche, freundliche Miene dieser
drei Männer Zutrauen; denn da fand man von Arglist und
Verstellung, von Haß und Rachgier keine Spur.
»Der Zeitpunkt«, begann Broll, »welchem wir längst mit
gerechten Besorgnissen entgegensahen, ist herangenaht; der
Herzog, verleitet von schlauen Ratgebern, gedenkt einen
ernstlichen
Angriff
auf
unser
höchstes
Kleinod,
die
Verfassung, zu wagen; daß aber dieser Angriff zunächst dem
Tübinger Vertrag gelten wird, daran wird niemand zweifeln,
der da weiß, wie sehr dieser Vertrag dem Landesherm
zuwider ist, der seine Ansicht kennt, daß er eigentlich zu
dessen Beobachtung gar nicht verpflichtet sei. Lassen wir
aber diesen Grundpfeiler unserer Verfassung niederreißen,
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dann stürzt das ganze Gebäude zusammen und umso
notwendiger ist es, daß wir hier fest und entschlossen
auftre-ten.«
»Meine Ansicht ist es gleichfalls«, entgegnete der Abt von
Adelberg, »daß, wenn sie auch nicht sogleich den Tübinger
Vertrag völlig aufzuheben wagen, sie doch daran rütteln
werden, wie an einem alten Hause, bis es ganz zusammenfällt.
Enzlin wird all seine Gewandtheit und Schlangenlist anwenden,
alle Kräfte seines ränkevollen Geistes anstrengen, um die
Stimmenmehrheit zu erlangen, und wie es mit der politischen
Weisheit so vieler unserer Kollegen in der Landschaft steht,
das wißt Ihr so gut als ich.«
»Mehr noch«, fügte Mayer bei, »fürchte ich die Selbstsucht
und den Eigennutz mancher Mitglieder; die Aussicht auf
Befriedigung seines Ehrgeizes oder seiner Geldgier hat schon
manchen vom rechten Wege abgelockt. Mit glänzenden
Versprechungen aber werden Enzlin und seine Genossen nicht
kargen.«
»Eure Besorgnisse sind leider nur zu begründet«, fuhr Broll
fort; »wir aber dürfen darum den Mut nicht sinken lassen, die
Hoffnung nicht aufgeben; vielmehr wollen wir schon vor dem
Beginn des Kampfes mit allem Eifer den schlimmen Einflüssen
von der andern Seite entgegenzuwirken suchen. Ich zweifle
nicht, daß unsere Vorstellung bei so vielen schlichten
redlichen Männern, welche das Fürstentum zum Landtag
senden wird, von nicht geringerem Erfolge sein werden, als
die listigen Vorspiegelungen Enzlins, dem nur wenige recht
trauen.«
»An unserem Eifer hierin solls nicht fehlen«, erwiderte
Bidembach, und Mayer stimmte ihm bei. Als sie hierauf die
einzelnen
Mitglieder
des
künftigen
Landtags
besonders
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besprochen, fanden sie doch, daß die Zahl der Gutgesinnten
nicht so gering war, als sie gefürchtet hatten.
»So laßt uns denn«, sprach der Abt von Adelberg, »auf
Gottes gnädigen Beistand vertrauend, den Kampf erwarten,
furchtlos und mutig für unser gutes Recht streiten und mit
wackerem Beispiel unseren Kollegen vorangehen; der Ausgang
steht in der Hand des Allerhöchsten.« Seine Freunde reichten
ihm als Zeichen ihrer Beistimmung die Hände und so wurde
auch in dem Eckhause der Schulgasse ein Bund geschlossen,
aber nicht zum Umsturz, sondern zur Erhaltung der
Verfassung, nicht von einem Paar ehrgeiziger Minister,
sondern von Männern, welche für das Wohl des Vaterlandes
begeistert waren; die gute Sache aber, wenn auch anfangs
unterliegend, errang doch zuletzt den Sieg.
Am 26. Januar 1607 versammelten sich die Landstände zum
erstenmale im Landhause: die feierliche Eröffnung des
Landtages aber fand im Rittersaale des Schlosses in
Gegenwart des Herzogs und seines Sohnes Friedrich Achilles
statt. Einer von den Abgeordneten nach dem andern trat vor
den Herzog und reichte ihm die Hand; dann setzten sie sich
auf den längs den Wänden des Saales angebrachten Bänken
nieder; nur die Prälaten bekamen an einem mit schwarzem
Tuche beschlagenen Tische ihren Sitz, ihnen gegenüber an
einer mit schwarzem Tuch beschlagenen Tafel saßen die
herzoglichen Kommissäre. Nachdem Friedrich sich mit seinem
Sohne wieder entfernt hatte, erhob sich Enzlin, um den
Versammelten die fürstliche Landtags-Proposition mitzuteilen,
und es geschah, was Broll vorausgesehen hatte. Enzlin
verlangte nämlich im Namen des Herzogs eine sogenannte
Erklärung und Erläuterung des Tübinger Vertrags, weil dieser
in etlichen Punkten unlauter sei, auch übel verstanden und
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mißbraucht werde, und als die Landstände nun Zeitfrist
verlangten, um sich über diesen »hochwichtigen trefflichen
Punkt«
zu
beraten,
erklärte
er,
der
Herzog
begehre
mündliche, nicht aber schriftliche Verhandlungen, sie sollten
daher am nächsten Tage wieder erscheinen.
Die Kunde vom Inhalt der Landtagsproposition durchlief
schnell die ganze Stadt und erregte allgemeine Bestürzung.
Denn der Tübinger Vertrag galt wirklich allgemein, wie Broll
sich ausdrückte, für den Grundpfeiler der Landesverfassung,
und selbst der Geringste im Volke, mochte er mit dessen
Inhalt auch nur sehr unvollständig bekannt sein, war doch
überzeugt, daß mit ihm die Freiheit Wirtenbergs stehe und
falle. Überall sah man bedenkliche, traurige Gesichter und
eine gedrückte, unheimliche Spannung gab sich selbst bei den
an diesem Abend gar nicht zahlreichen Besuchern der
Wirtshäuser kund. Indes wurden die Amtleute und andere
Ständemitglieder
von
Enzlin,
Reinhard
und
dem
Landprokurator
Eßlinger
bearbeitet,
einem
fleißigen,
geschickten, dem Herzog eifrig ergebenen Mann, der sich
aber durch seine Finanzkünste, seinen Eigennutz und die
Weise, wie er frech und ungescheut den Diensthandel trieb,
ebenso verhaßt gemacht hatte wie jene beiden Männer. Sie
richteten jedoch nicht viel aus; denn Broll und seine Freunde
hatten dafür gesorgt, daß die Aufrechterhaltung des Tübinger
Vertrags den meisten Abgeordneten in ihren Vollmachten zur
Pflicht gemacht wurde, und ohnehin hatte die Mehrzahl
derselben damals keine eigene Meinung, sondern stimmte
gewöhnlich der Ansicht des Ausschusses bei, welcher,
fortwährend mit den Landesangelegenheiten beschäftigt, diese
auch viel besser kannte, und in politischen Verhandlungen
mehr Übung und Gewandtheit besaß. In ihm aber hatten die
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Stimmen Brolls, Bidembachs und Mayers das meiste Gewicht,
und auch dessen übrige Mitglieder, der Abt Stecher von
Bebenhausen,
die
Bürgermeister
Stephan
Schmid
von
Brackenheim, Georg Hoffmann von Urach, Philipp Chonberger
von Schorndorf Elias Epplin von Nürtingen und Jakob Kallwer
von Tübingen waren meist ehrenwerte Männer, welche ihre
Pflicht
kannten
und
für
Enzlins
und
Reinhards
Überredungskünste unzugänglich waren.
Vergebens wandte daher auch der Geheimrat am andern
Tage all seine dialektische Kunst an, um die Landstände zu
gewinnen; diese waren entschlossen, auch nicht einen Punkt
des Tübinger Vertrags fallenzulassen und begehrten noch
einmal Bedenkzeit. Der Herzog, welcher ungeduldig auf die
Entscheidung wartete, geriet über dieses Begehren in großen
Zorn. »Wozu brauchen«, sagte er, »diese Leute noch weitere
Bedenkzeit? Ist ihnen ja doch der Tübinger Vertrag so
bekannt als das Vaterunser«; auf die Vorstellungen seiner
Räte jedoch bewilligte er es.
Das erste, was die Landstände nun taten, war, daß sie den
Ausschuß
durch
sechs
Prälaten
und
siebzehn
Stadtabgeordnete
verstärkten
und
ihm
auftrugen,
die
fürstliche Landtagsproposition in Beratung zu ziehen. Am 29.
Januar wurde hierauf eine allgemeine Sitzung gehalten, bei
welcher auch die Amtleute erschienen, »weil sie sich doch
nicht
würden
ausschließen
lassen«.
Der
Sprecher
des
Ausschusses war Broll, welcher erklärte, die Ansicht desselben
sei, daß man den Tübinger Vertrag nicht fallen lassen, noch
in eine sogenannte Erläuterung desselben willigen dürfe, da er
lauter und verständlich genug sei. Er endigte seinen Vortrag
mit den Worten: »Niemand unter uns ist es unbekannt, welche
Stimmung im Lande herrscht, wie das Volk bekümmert ist, da
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