1 Herzog Friedrich von Wirtenberg Der neue Landesherr



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-  12  -

früher  begonnenen  Erzählung  fort:

»Nun,  wie  ich  sagte,  so  ist’s,  aus  mehr  als  einer  schweren 

Gefahr  hat  Gott  unseren  Herrn  und  Gebieter  gnädiglich 

errettet,  aus  den  Händen  der  Meuchelmörder  und  aus  den 

Klauen  eines  grimmigen  Bären,  den  Seine  Durchlaucht  mit 

eigener  Hand  erlegte.  Und  wie  war  es  nur,  als  wir  1592  nach 

England  reisten,  da  hat  es  uns  an  Gefahren  zu  Wasser  und 

zu  Land  nicht  gefehlt.  Denkt  euch  nur,  ihr  Herren,  als  wir 

am  5.  August  (ich  weiß  es  noch,  als  wär’s  gestern  erst 

geschehen)  zu  Oldesloe,  dem  lumpigen  Nest  in  Friesland, 

übernachteten,  da  verriet  der  Schuft  von  Wirt  etlichen 

Schnapphahnen  unsere  Gegenwart,  und  wie  wir  nun  im  besten 

Schlafe  lagen,  erhob  sich  auf  einmal  ein  gräulicher  Lärmen. 

Unser  Herr  war  der  erste  auf  den  Beinen  und  in  den  Waffen; 

wir  andere,  nur  zehn  an  der  Zahl,  hatten  uns  kaum  erst 

ermuntert,  da  drangen  die  Räuber  schon  ins  Haus  ein;  ein 

grimmiger  Kerl  riß  die  Türe  zu  des  Herzogs  Zimmer  auf  und 

ruft:  >Ergebt  euch!<  Unser  mutiger  Gebieter  aber  stieß  ihn 

zurück,  warf  die  Türe  zu  und  rief:  >Schnell  Kästen,  Tische 

und  Bänke  daher  und  die  Gewehre  geladen!<  Ihr  könnt  euch 

denken,  wie  wir  uns  beeilten;  die  draußen  gaben  sich  zwar 

alle  Mühe,  durchzubrechen,  aber  vergebens;  da  stießen  sie 

einen  Laden  auf,  doch  das  war  uns  eben  recht;  kaum  zeigte 

sich  einer,  so  gab  ich  Feuer  und  kopfüber  stürzte  der  Kerl 

hinab,  die  andern  aber  schossen  unter  die  Räuber  hinaus, 

welche  schreiend  auseinanderstäubten.  Nun  ward  es  eine 

Zeitlang  ruhig  und  wir  benützten  diese  Frist,  um  alle  Gewehre 

zu  laden,  deren  wir  genug  hatten.  Auf  einmal  klopft’s  an  der 

Tür:  wer  war’s?  der  Hund  von  einem  Wirt,  der  mit  vielen 

jämmerlichen  Wehklagen  eine  Lügengeschichte  zu  erzählen 

anhub,  wie  die  Räuber  ihn  selbst  unversehens  überfallen 



-  13  -

hätten  und  nun  sein  Rattennest  anzuzünden  drohten,  wenn 

wir  uns  nicht  ergeben.  >Ein  Fürst  von  Wirtenberg  ergibt  sich 

solchem  Gesindel  nichts  ent-gegnete  unser  Herr,  >sie  sollen’s 

nur  versuchen  und  sollen  stürmen,  wir  sind  wohlgerüstet.<  - 

>Aber  doch  ein  Lösegeld<,  ertönte  des  Wirts  klägliche  Stimme 

von  neuem.  >Nichts  von  Lösegeld!  Räubern  kauf  ich  mein 

Leben  nicht  ab!<  ->Doch  einen  Trunk?<  -  >Nun  meinetwegen, 

laßt  sie  auf  des  Grafen  Friedrich  von  Wirtenberg  Gesundheit 

trinken,  bis  sie  voll  und  toll  werden;  aber  jetzt  entfernt  euch 

schnelle  Der  Wirt  ließ  sich  das  nicht  zweimal  sagen  und  bald 

sahen  wir  beim  Scheine  des  anbrechenden  Morgens,  wie  er 

ein  großes  Faß  mit  Bier  und  etliche  mächtige  Krüge  mit 

Branntwein  in  den  Hof  schleppte,  wo  nun  die  Schelme,  deren 

es  wohl  dreißig  sein  mochten,  sich  lagerten  und  tüchtig 

soffen. 


Zuletzt 

kam 


gemach 

der 


Hauptmann, 

dankte 


untertänigst 

und 


entschuldigte 

sich, 


sie 

ständen 


in 

holländischen  Diensten  und  hätten  uns  nur  angegriffen,  weil 

sie  uns  für  Spaniolen  gehalten.  Der  Graf  ließ  ihm  auch  ein 

Geschenk  reichen  und  jubelnd  zog  die  Schar,  ihre  toten 

Genossen  mittragend,  davon.  Ich  muß  gestehen,  daß  es  mir 

damals  nicht  wohl  zumute  war;  aber  größere  Angst  noch 

stand  ich  aus,  als  uns  bald  nach  unserer  Abfahrt  von  Emden 

ein  gewaltiger  Sturm  überfiel.  Ja!  ihr  Herren,  das  ist  eine 

ganz  andere  Sache,  als  wenn  man  nur  so  eine  Handvoll 

lumpiger  Räuber  vor  sich  hat;  da  wird  der  größte  Eisenfresser 

fromm  wie  ein  Lamm;  gewiß  in  meinem  ganzen  Leben  hab’ 

ich  nicht  so  viel  gebetet,  wie  damals.  Aber  der  Wind  warf 

unser  Schiff  auch  hin  und  her,  als  wär’s  nur  eine  Eierschale 

und  mit  dem  verdammten  Meerwasser  überschüttete  er  uns, 

daß  wir  am  ganzen  Leibe  keinen  trockenen  Faden  hatten.  Da 

hat  sich  mehrmals  einer  auf  sein  letztes  Stündlein  gefaßt 



-  14  -

gemacht,  nur  unser  Herr  allein  blieb  gefaßt.  Nun,  wir  kamen 

auch  mit  der  Angst  davon,  sonst  säß’  ich  heute  nicht 

wohlbehalten  und  guter  Dinge  im  Hirsch  zu  Stuttgart.  In 

England  ging’s  uns  gut;  aber  als  hätt’  es  der  plumpe  Tölpel, 

der  Sausewind,  auf  uns  ganz  besonders  abgesehen  gehabt, 

faßte  er  uns  auf  der  Rückreise  noch  einmal  und  womöglich 

noch  tüchtiger  als  das  erstemal.  Da  hob  er  mit  dem  Schiff 

einen  Tanz  an,  den  ich  mein  Leben  lang  nicht  vergessen 

werde;  bald  schwebte  es  so  hoch  oben,  daß  ich  meinte,  seine 

Masten  würden  eines  der  Himmelsfenster  einstoßen,  bald  war 

es  wieder  so  tief  unten,  daß  einer,  wenn  er’s  nur  gemocht, 

Kieselsteine  aus  dem  Meeresgründe  hätte  heraufholen  können 

und  wir  alle  wurden  auf  einmal  tüchtige  Wiedertäufer.«

»Wie  meint  Ihr  das,  Herr  Morel?«  unterbrach  ihn  einer  der 

Zuhörer.


»Wie  ich’s  meine?«  entgegnete  der  Leibdiener;  »nun,  wir 

erhielten  damals  die  zweite  Tauf  und  die  fiel  noch  reichlicher 

aus,  als  die  erste.  Selbst  der  Schiffspatron  geriet  in  schwere 

Angst;  er  ließ  die  Stricke  und  Segel  abschneiden,  Geschütz 

und  Waren  über  Bord  werfen,  und  da  alles  nichts  helfen 

wollte,  trat  er  mit  betrübter  Miene  zum  Grafen  und  sprach: 

>Erlaucht,  die  Hoffnung  auf  Rettung  ist  dahin.<  Dieser  aber 

tröstete  ihn  und  sagte:  >Erschreckt  nicht  so  sehr,  Patron; 

solch  einen  Sturm  haben  wir  schon  einmal  mit  der  Hilfe  des 

barmherzigen  Gottes  glücklich  überstanden;  er  wird  uns  auch 

diesmal  aus  der  Gefahr  helfen/  So  war  es  auch.  Am  andern 

Morgen,  es  war  der  siebente  September,  kamen  wir  zu 

Mittelburg  in  Seeland  an  und  sieben  Wochen  nachher  saß  ich 

wieder  wohlbehalten  im  Schlosse  zu  Mömpelgard.«

Hier  endete  Morel  seine  Erzählung  und  tat  einen  tiefen, 

langen  Zug  aus  dem  vor  ihm  stehenden  silbernen  Becher. 



-  15  -

Diese  Pause  benutzte  einer  der  Anwesenden  und  sprach: 

»Aber  erlaubt,  Herr  Morel,  ist  wirklich  etwas  Wahres  daran, 

daß  Seine  Durchlaucht  die  Reise  nach  England  machten,  um 

zum  reformierten  Glauben  überzugehen?«

»Das  sagen  ihm  schlechte  Leute  nach«,  entgegnete  unwillig 

Morel,  »es  ist  aber  ein  dummes,  verlogenes  Geschwätz;  mein 

Herr  ist  ein  so  guter  lutherischer  Christ  als  irgendeiner;  aber 

er  läßt  sich  freilich  von  den  Pfaffen  nicht  im  Barte  kratzen, 

wie  der  selige  Herr.  Hab’  ich  mich  doch,  wie  ich  vor 

anderthalb  Jahren  mit  meinem  Herrn  zum  letzten  Male  hier 

war,  nicht  genug  wundem  können,  was  alles  der  Osiander  auf 

der  Kanzel  vor  dem  Ohre  des  Herzogs  schwatzen  durfte;  weil 

die  Hofleute,  sagte  er,  so  gut  sündigten  wie  die  Bauern, 

müsse  man  sie  strafen,  und  das  tat  er  denn  auch  mit  sehr 

scharfen  Ausdrücken.  Mein  Herr  sagte  nachher:  er  habe 

schon  mehrmals  einen  Hofprediger  gehört,  aber  noch  nie 

einen  so  unhöflichen  und  hochstrebenden,  da  doch  die 

Hofprediger  höflicher  und  bescheidener  sein  sollten,  als  die 

gemeinen  Dorfpfaffen.  Damm  möcht’  ich  dem  Osiander 

wohlmeinend  raten,  daß  er  künftig  einen  andern  Ton 

anstimmt.  Doch  ihr  bringt  mich  da  ganz  von  dem  ab,  was  ich 

eigentlich  sagen  wollte.  Unser  Herrgott,  mein’  ich,  hat  Seine 

Durchlaucht  nicht  umsonst  mehr  als  einmal  gnädiglich  aus 

Lebensgefahren  errettet.  Herzog  Friedrich  ist  gewiß  zu  großen 

Dingen  bestimmt  und  ich  hoff  es  noch  zu  erleben,  ihn  in 

höherem  Stand  und  Würde  zu  erblicken.  Das  Regiment  des 

Herrn  Melchiors  und  des  alten  Landhofmeisters  aber  wird  nun 

freilich  aufhören;  denn  beim  Regieren  läßt  sich  mein  Herr 

nicht  dreinreden.  Ich  hab’  ihn  mehr  als  einmal  sprechen 

hören:  Wir  sind  der  Herr,  die  Räte  die  Diener,  darum  müssen 

sie  tun,  was  Wir  wollen  und  sollen’s  nur  Uns  verantworten 



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lassen/  Auch  die  Herren  von  der  Landschaft  mögen  sich  in 

acht  und  das  Maul  nicht  zu  voll  nehmen.  Der  Herzog  weiß 

schon  selbst,  was  er  tun  und  lassen  muß.«

Über  diese  Äußerungen  des  Leibdieners  erhob  sich  ein 

ziemlich  lebhafter  Wortwechsel.  Die  Landschaft,  behaupteten 

die  Bürger,  sei  berechtigt,  bei  der  Regierung  des  Landes  auch 

mitzuraten  und  zu  sprechen;  dieses  Recht  verleihen  ihr  der 

Tübinger  Vertrag  und  andere  Landesverträge  und  die 

früheren  Herzoge  alle  hätten  es  anerkannt.  Morel  dagegen 

meinte,  an  die  Verträge  sei  der  Herzog  nicht  gebunden,  da  er 

kein  Nachkomme  des  Herzogs  Ulrich,  sondern  dessen 

Brudersohn  sei,  und  die  Pfaffen  und  Bürgermeister,  welche  in 

der  Landschaft  säßen,  hätten  ihm  in  seine  Regierung  nichts 

dreinzureden.  Als  der  Streit  heftiger  zu  werden  drohte,  sprach 

ein  greiser  Bürger:  »Was  wollt  ihr  da  länger  hadern?  Dort 

sitzen  die  beiden  Herren  Landschaftsadvokaten,  die  können 

uns  darüber  den  besten  Bescheid  geben.«

Broll  und  Bidembach  waren  dem  Gange  des  Gesprächs  mit 

Aufmerksamkeit 

gefolgt, 

hatten 


mehrmals 

einander 

bedeutsame 

Blicke 


zugeworfen, 

auch 


einigemal 

leise 


miteinander  gesprochen.  Nun  erhob  sich  der  erstere,  trat  vor 

den  Tisch,  an  dem  die  Bürger  saßen,  und  sagte:  »Seine 

Durchlaucht  haben  noch  bei  Lebzeiten  des  seligen  Herrn 

feierlich  versprochen,  Prälaten  und  Landschaft  bei  ihren 

Privilegien  und  Freiheiten  zu  lassen  und  zu  handhaben,  dies 

Versprechen  werden  sie  auch  halten;  darum  beruhigt  euch, 

liebe  Freunde,  und  fangt  keinen  unnützen  Streit  an,  sondern 

bedenkt,  daß  heute  ein  Tag  der  Freude  und  des  Friedens  ist.« 

Hierauf  winkte  Broll  seinem  Gefährten  und  beide  verließen  die 

Gesellschaft.

Morel  brummte  etwas  vor  sich  hin,  war  jedoch  zu  klug  und 


-  17  -

zu  vorsichtig,  als  daß  er  den  Streit  weiter  fortgesetzt  hätte 

und  das  Gespräch  nahm  bald  eine  andere  Wendung.  Es  kam 

auf  des  Herzogs  Vorliebe  zu  geheimen  Künsten,  namentlich 

zur  Alchymie,  und  der  Leibdiener  hatte  seinen  Unmut  bald 

wieder  vergessen;  denn  nach  dem  Sprichwort:  wie  der  Herr, 

so  der  Diener,  hatte  auch  er  eine  hohe  Meinung  von  jener 

wunderbaren  Kunst,  welche  sich  rühmte,  unedle  Metalle  in 

Gold  verwandeln  zu  können.  Er  erzählte  davon  solche 

Wunderdinge, 

daß 

die 


Anwesenden 

Mund 


und 

Ohren 


aufsperrten; 

endlich 


aber, 

als 


es 

auf 


dem 

großen 


Stiftskirchenturm  8  Uhr  schlug,  sprach  er:  »Ja!  ich  sag’s 

euch,  ihr  Herren,  und  daß  ich  wahr  gesprochen,  werdet  ihr 

bald  selbst  erfahren;  es  wird  ein  ganz  neues  Leben  in  eure 

Stadt  kommen  und  auch  ihr  werdet  großen  Nutzen  davon 

haben;  der  Herzog  ist  ein  prachthebender,  freigiebiger  Herr, 

er  hält  etwas  darauf,  eine  stattliche  Hofhaltung  zu  haben;  er 

wird  eure  Stadt  mit  schönen  Bauwerken  schmücken  und  euch 

selbst  durch  mancherlei  Feste  etwas  zu  schauen  geben.  Nun 

aber,  gute  Nacht,  ich  möcht’  nicht  zu  spät  ins  Schloß 

kommen;  so  gnädig  auch  der  Herr  gegen  seine  Diener  und 

vornehmlich  gegen  mich  gesinnt  ist,  so  kann  er’s  doch  nicht 

leiden,  wenn  sie  ihre  Pflicht  vernachlässigen.«  Morel  erhob 

sich  und  verließ  das  Wirtszimmer,  das  nun  sich  allgemach 

leerte,  da  die  ehrsamen  Bürger  den  Nachtimbiß  zu  Hause 

nicht  versäumen  wollten.

Im  Schlosse  hatte  indes  eine  geräuschvolle  Tätigkeit 

geherrscht;  man  packte  ab,  ordnete  und  richtete  sich  ein,  die 

Diener  liefen  geschäftig  umher,  die  Hofbeamten  sahen  bald 

da,  bald  dort  nach,  ob  ihre  Befehle  auch  gehörig  vollzogen 

würden.  So  ging  es  fort,  bis  die  Glocke  zur  Abendmahlzeit 

rief.  Nach  deren  Beendigung,  als  sich  die  herzogliche  Familie 


-  18  -

schon 


in 

ihre 


Gemächer 

zurückgezogen 

hatte, 

saßen 


Degenfeld  und  Firks  noch  beieinander  und  jener  sprach:

»Nun,  wie  gefällt’s  Euch  hier  in  Stuttgart,  Herr  Hofrat?«

»Gar  nicht  so  übel«,  antwortete  dieser,  »ich  bin  diesen 

Nachmittag  mit  dem  Hauptmann  Escuyeres  in  der  Stadt 

herumgeritten;  in  ihrem  Innern  sind  nun  freilich  viele  enge 

und  krumme  Gäßlein  und  schmutzige  Winkel,  in  welche  wir 

uns  gar  nicht  hineinwagten;  aber  die  obere  Vorstadt  hat  recht 

schöne,  gerade  Straßen,  auch  sahen  wir  manches  stattliche 

Gebäude;  was  uns  aber  am  meisten  erfreute,  war  der  Anblick 

so  vieler  hübscher  Dirnen,  mit  frischen  roten  Wangen, 

munteren  Äuglein  und  reichem  blonden  und  braunen 

Lockenhaar.«

»Das  glaub’  ich«,  erwiderte  Degenfeld  lachend,  »schon  eine 

einzige  schöne  Dirn  könnte  Euch  manchmal  den  Kopf 

verwirren,  wieviel  mehr  noch  der  Anblick  so  vieler.«

»Von  Kopfverwirren  war  bei  mir  wohl  noch  nie  die  Rede«, 

erwiderte  Firks  etwas  empfindlich;  Degenfeld  aber  fuhr  fort: 

»Nun,  werdet  doch  nicht  gleich  so  heftig,  ’s  war  ja  nur 

Scherz,  aber  im  vollen  Emst  sag’  ich  Euch,  hofft  bei  der 

weiblichen  Jugend  Stuttgarts  nicht  auf  so  viele  und  zu  leichte 

Siege;  diese  Mädchen  sind  nicht  nur  schön,  sie  sind  auch 

tugendsam  und  gegen  euch  Fremde  hegen  sie  einen 

besonderen  Widerwillen.«

»Das  wird  sich  schon  geben«,  antwortete  Firks,  »ich  darf 

mich  rühmen,  schon  manche  spröde  Tugend  besiegt  zu 

haben.  Gegenwärtig  aber  hab’  ich’s  nur  auf  eine  abgesehen, 

ein  Mädchen,  sag’  ich  Euch,  schön  wie  ein  Engel!«

»Wer  ist  denn  diese  Göttin,  die  Euer  Herz  so  schnell  in 

Flammen  zu  setzen  vermochte?«  fragte  Degenfeld.

»Als  wir  über  den  Markt  ritten«,  sprach  Firks,  »schaute  das 



-  19  -

Mädchen  nur  verstohlen  aus  dem  Fenster  eines  Hauses,  als 

aber  mein  Blick  sie  traf,  trat  sie  erschrocken  zurück  Das 

Haus  hab’  ich  mir  wohl  gemerkt,  es  steht  an  der  Ecke  einer 

engen  Gasse  und  ist  mit  den  Steinbildnem  der  Mutter  Gottes 

und  des  heiligen  Christoph  geschmückt.«

»Da  wohnt  ja  der  Landschaftsadvokat  Broll«,  entgegnete 

Degenfeld,  »und  das  Mädchen  wird  wohl  seine  Tochter  sein, 

deren  Schönheit  ich  schon  früher  rühmen  hörte,  aber  ich 

kann  Euch  hier  von  Eurer  Liebeswerbung  wenig  Erfolg 

versprechen;  der  Vater  ist  ein  alter;  deutscher  Bär,  der  Euch, 

wenn  er  Eure  Absicht  merkt,  kurz  abfertigen  wird;  überdies 

ist  seine  Tochter  mit  seinem  Amtsgenossen,  dem  jungen 

Bidembach  versprochen  und  der  läßt  auch  nicht  mit  sich 

spaßen.«

»Je  schwieriger  der  Kampf,  desto  glorreicher  der  Sieg«, 

sprach  Firks,  »ich  lasse  mich  dadurch  nicht  abschrecken.«

»Nun,  so  versucht  denn  Euer  Glück«,  sagte  Degenfeld, 

»denkt  aber  doch  ein  wenig  über  die  Sache  nach  und  jetzt 

schlaft  wohl!«

Degenfeld  hatte  richtig  geurteilt;  dem  schönen  Liefländer, 

der 


sonst 

sich 


so 

manches 


leichten 

Siegs 


über 

Mädchenherzen  zu  rühmen  wußte,  wollte  es  bei  Marie  Broll 

nicht  gelingen.  Er  ritt  fleißig  am  Hause  vorbei  und  gab  hier 

seine  besten  Reitkünste  preis,  aber  das  Mädchen  zeigte  sich 

nie  am  Fenster;  nur  die  Gassenbuben  und  die  Marktleute 

staunten  den  gewandten  Reiter  an  und  stoben  rasch 

auseinander,  wenn  dieser  im  Zorn  auf  sie  losritt.  Beim 

Kirchgang  war  Marie  entweder  von  ihrer  Mutter  oder  von 

einer  alten  Dienerin  begleitet  und  schlug,  wenn  sie  ihren 

ungebetenen  Liebhaber  erblickte,  sittsam  die  Augen  nieder.  Da 

sann  Firks  auf  ein  anderes  Mittel,  sich  ihr  zu  nähern;  dem


-  20  -

Hofrat, 


dem 

Günstling 

des 

Herzogs, 



konnte 

der 


Landschaftsadvokat  seine  Türe  nicht  verschließen  und  so  trat 

denn  einmal  der  Edelmann  ganz  unerwartet  in  Brolls 

Familienzimmer  ein.  Er  wußte  sich  gar  fein  zu  benehmen; 

einen  so  angesehenen  und  seiner  Verdienste  wegen  so 

geachteten  Mann,  sprach  er,  habe  er  längst  auch  persönlich 

zu  kennen  gewünscht;  er  erzählte  von  seinen  Reisen,  von  den 

Merkwürdigkeiten  fremder  Länder  und  gab  sich  alle  Mühe, 

seine  Liebenswürdigkeit  ins  rechte  Licht  zu  stellen.  Auch  hatte 

er,  nach  Degenfelds  Rat,  seine  gewöhnliche  Leichtfertigkeit 

völlig  bemeistert  und  so  erschien  er  denn  auch  wirklich  als 

ein  bescheidener,  einnehmender  junger  Mann.  Die  Besuche 

wurden,  zum  großen  Ärger  Brolls,  der  ihren  Zweck  bald 

merkte,  fortgesetzt  und  Firks  erschien  dabei  immer  als  der 

vollendetste 

Stutzer 

seiner 


Zeit 

gekleidet. 

Seine 

von 


Wohlgerüchen  duftenden  Haare  waren  zierlich  gekräuselt,  der 

Bart  über  der  Oberlippe  und  am  Kinn  gar  sorgfältig  geordnet; 

er  trug  einen  seidenen,  mit  Goldborten  besetzten  Mantel,  ein 

enganschließendes  Wams  von  schwarzem  Samt,  auf  dem  eine 

schwere  goldene  Kette  glänzte;  die  Beinkleider  von  Atlas 

waren  mit  Kniebändem  von  Goldstoff  versehen,  die  Strümpfe 

von  glänzend  weißer  Seide  und  die  Schuhe  waren  fein 

geschlitzt.  So  stand  der  fremde  Edelmann  vor  Marien  und 

suchte  mit  süßem  Geschwätz  ihr  Herz  zu  betören,  wurde  ihr 

aber  dadurch  immer  noch  widerwärtiger.  Sie  klagte  auch  dem 

Bräutigam  ihre  Not  und  dieser  beschloß,  der  zudringlichen 

Bewerbung  ein  Ende  zu  machen.  Dazu  fand  sich  bald 

Gelegenheit.

Eines  Tages,  als  Broll  eben  in  Landschafts-Angelegenheiten 

verreist  war,  saß  er  im  traulichen  Gespräche  mit  seiner 


-  21  -

Verlobten  da,  als  Firks  hereintrat;  daß  beide  Männer  gerade 

nicht  die  freundlichsten  Blicke  wechselten,  läßt  sich  denken. 

»Ei!«  sprach  der  Eingetretene  spöttisch,  »ich  hätte  nicht 

geglaubt,  daß  Eure  vielen  und  wichtigen  Geschäfte,  Herr 

Landschaftsadvokat,  Euch  noch  Zeit  ließen,  auch  dem  Dienste 

schöner  Damen  Euch  zu  widmen.  Nun,  ich  denke,  Ihr  sollt 

bald  noch  mehr  Muße  dazu  bekommen;  denn  mit  dem 

Pfaffen-und  Spießbürgerregiment,  das  ihr  Wirtenberger  die 

Landschaft  nennt  und  auf  das  ihr  so  stolz  seid,  wird  es  bald 

ein  Ende  haben.  Seine  Durchlaucht  ist  verständig  genug,  um 

allein  regieren  zu  können  und  braucht  so  lästige  Mitregenten 

nicht.«

»Herr  Hofrat«,  entgegnete  Bidembach,  »Euren  Hohn  über 



Prälaten  und  Landschaften  verzeih’  ich  Euch,  als  einem 

Fremden;  was  Ihr  aber  da  von  der  Aufhebung  unserer 

Verfassung  sprecht,  ist  ein  leeres  Geschwätz;  wir  haben  sie 

auf  dem  Wege  des  Vertrags  erlangt  und  werden  sie  zu 

verteidigen 

wissen;  übrigens  hat  unser  durchlauchtiger 

Landesherr  sie  ebensogut  als  seine  Vorgänger  bestätigt  und 

beschworen.«

»Mit  Euch  streit’  ich  nicht  darüber«,  sprach  Firks,  den 

Landschaftsadvokaten  verächtlich  anblickend,  »aber  entfernt 

Euch 

jetzt 


und 

geht 


an 

Euer 


Geschäft; 

bei 


meiner 

Unterhaltung  mit  der  Dame  hier  ist  Eure  Gegenwart  höchst 

überflüssig.«

Unwillig  erwiderte  Bidembach:  »Sie  ist  meine  Braut  und  ich 

werde  sie  gegen  Eure  Zudringlichkeit  zu  schützen  wissen.«

»Ihr  seid  in  der  Tat  ein  trefflicher  Beschützer!«  lachte  der 

Hofrat,  »wie  ich  Euch  bald  zeigen  werde;  Ihr  sollt  noch  mehr 

von  mir  hören.«  Zürnend  verließ  er  das  Zimmer  und  nur  zu 

bald  wurde  seine  Drohung  wahr.


-  22  -

Im  Schlosse  traf  Firks  auf  Degenfeld,  der  ihm  ein  Schreiben 

reichte  mit  den  Worten:  »Da  seht  selbst,  welchen  Ton  sich  die 

Landschaft  gegen  unsem  Gebieter  erlaubt,  und  der,  welcher 

dies  Schreiben  aufgesetzt  hat,  ist  kein  anderer,  aus  Euer 

Nebenbuhler  bei  der  schönen  Marie.«  -  »Bidembach,  das  ist  ja 

herrlich!«  rief  der  Hoffat,  »und  paßt  vortrefflich  zu  meinen 

Absichten.«  Er  erzählte  hierauf  Degenfeld  den  Auftritt  mit 

Bidembach  und  beide  waren  bald  mit  ihrem  Plane  fertig.

Sie  gingen  ungesäumt  zum  Herzog,  den  die  Beschwerden 

und  Wünsche,  der  Vorwurf,  daß  er  die  Fremden  den 

Landeskindem  vorziehe,  die  Warnung,  sich  nicht  in  auswärtige 

Kriege  und  Händel  einzulassen  und  noch  so  manche  andere 

Stelle  im  landschaftlichen  Schreiben  sehr  in  Harnisch  jagten.

Bei  dieser  Stimmung  Friedrichs  war  es  beiden,  besonders  da 

Firks  sich  nicht  scheute,  zu  behaupten,  Bidembach  habe  in 

der  Unterredung  mit  ihm  Drohworte  gegen  den  Herzog 

ausgestoßen,  nicht  schwer,  diesen  zu  einem  Gewaltschritte 

gegen  den  Landschaftsadvokaten  zu  bewegen.  Noch  am  Abend 

desselben  Tages  wurde  Bidembach  verhaftet  und  in  ein  sonst 

nur  für  Missetäter  bestimmtes  Gefängnis  gesetzt.  Diese  Tat 

erregte  großes  Aufsehen;  der  Vater  des  Gefangenen,  Friedrich 

Bidembach,  Prälat  in  Bebenhausen,  verfiel  in  Schwermut  und 

stürzte  vom  Turme  seines  Klosters  herab;  Marie,  welche  ihre 

Eltern  sogleich  aus  Stuttgart  entfernt  hatten,  härmte  sich  in 

der 


ländlichen 

Zurückgezogenheit 

eines 

fernen 


Schwarzwalddorfes  ab,  und  die  Landschaft  bat  vergebens  um 

Gnade  für  ihren  Advokaten,  hiebei  an  die  Verdienste  seines 

Vaters  und  seines  mütterlichen  Großvaters,  des  berühmten 

Johann  Brenz,  erinnernd.  >Solchen  schädlichen  Narren<, 

sprach  der  Herzog,  muß  man  mit  Kolben  lausen.<  Erst  als  er 

den  schlimmen  Eindruck,  den  sein  Verfahren  im  Lande 



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