„In der Illegalität muß ein solcher Treffpunkt an sich noch nicht ‚sonderbar’, also ungewöhnlich sein. Das sonderbare wird hier erst durch verschiedene Umstände hervorgerufen.“15 Die Kurzgeschichte Der Treffpunkt stelle ich hier absichtlich an das Ende des dritten Kapitels, obwohl sie schon als zweite Erzählung (1971) geschrieben wurde. Die Geschichte spielt sich in der Zeit vor und während Adolf Hitlers Antritts als Reichskanzler ab. Der Treffpunkt ist die einzige Kurzgeschichte aus der Geschichtensammlung Sonderbare Begegnungen, die sich mit der Zeit des Nationalsozialismus und mit dem Thema ‚Hitler-Ära’ beschäftigt und gleichzeitig handelt es sich um die einzige Erzählung, die in einem wirklichen historischen Umfeld spielt.
Als Hauptfiguren treten Klaus Rautenberg, der Sohn eines Kunstschlossers, und Erwin Wagner, ein hinkender Knabe. Beide Jungen befreunden sich und werden beste Freunde. Sie fangen an, miteinander Wochenendausflüge zu unternehmen. Sie kommen mit anderen Jugendlichen zusammen und Klaus lernt viele neue Leute kennen. Diesen Jugendverein besucht auch ein alter Lehrer namens Deter, den Klaus sehr bewundert. Als Klaus Vater feststellt, dass Klaus mit dem Kommunisten Deter verkehrt, verbietet ihm sich sowohl mit Deter als auch mit Erwin mehr zu treffen. Klaus verlässt jedoch seine Freunde nicht, weil sich nämlich in dieser Zeit seine Zukunft zu formen beginnt und Klaus feststellt, was für ihn wichtig ist.
Die Kinder verpflichteten sich auf die Idee ihrer Jugendgemeinschaft, auf Recht und Gerechtigkeit. Und Klaus, in der familienstickigen Wohnstube, fühlte in allen Fasern die Verpflichtung, die seine Freunde im kühlsonnigen Frühjahr in Worten und Liedern beteuerten.16 Klaus´ Vater bestimmt ihm seine zukünftige Arbeit, er solle die Lehre in der Druckerei Schönberg antreten und Drucker werden. Erwin solle als Setzer ausgebildet werden. Sie treffen sich dann nur selten, aber immer weiter besuchen sie im Geheimen den Lehrer Deter und gemeinsam treten sie dem Kommunistischen Jugendverband bei. Klaus arbeitet in einer kleinen Druckerei in Gotha und Erwin in Erfurt. Erwin lernt in Erfurt Deters Freund Hämmerling kennen, von dem er eine Aufgabe bekommt, die Flugblätter mit dem Text „Hitler bedeutet Krieg!“17 auszudrucken. Klaus stellt die gleichen Flugblätter auch her. In Kürze werden jedoch Klaus und Deter verhaftet.
Als Klaus aus dem Gefängnis entlassen wird, setzt er mit Erwin die Arbeit fort. Sie unterstützen ihre Ideale unermüdlich.
Der Bürgerkrieg in Spanien hatte begonnen. Wer zu ihrer Gruppe gehörte, verteilte Flugblätter: Das Vorspiel zu einem gewaltigen Krieg, der alle Länder bedrohe, sei der spanische Krieg. –
Sie konnten nicht anders, als immerfort Menschen aufzurütteln. Nie maßen sie die Wirkung an der Gefahr, der sie ausgesetzt waren. Ihre Warnungen tönten wie leichte Hammerschläge zu den Reden von Hitler und Mussolini, zu dem Fabriklärm, der Deutschland erfüllte, zu den Bomben auf Guernica.18 Da die beiden Jungen von der SA wieder gesucht werden, versteckt sich Klaus bei einem Bauern, für den er als Helfer arbeitet und Erwin verschwindet nach Leipzig. Sie verabreden sich noch eine große Aufgabe. Sie wollen sich in Naumburg treffen, wo Erwin während des Gottesdienstes einen Text für ein neues Flugblatt übergeben soll. Ein vereinbartes Zeichen dient dabei als Warnung, falls einer von ihnen zufällig bespitzelt werden würde. Außerdem legen sie noch ein Ersatztreffen miteinander fest.
Sollte diese Zusammenkunft irgendwie scheitern, dann wollten sie am zweiten Dienstag des folgenden Monats in Fulda zusammenkommen. „Wenn alles fehlschlägt“, sagte Klaus, ohne wirklich damit zu rechnen, daß alles fehlschlagen könnte, „dann sucht einer den anderen nachmittags um fünf im Postamt von Gellhausen am Fünften jeden Monats. Verstehst du, das soll für immer gelten. Am fünften jeden Monats um fünf im Postamt von Gellhausen.“19 Als Erwin nach Naumburg kommt, hat er immer ein unangenehmes Gefühl, dass er wirklich bespitzelt wird. Die Angst ergreift ihn, so dass er den Dom erst gar nicht betritt. Im Nachhinein behauptet er, dass Klaus im Dom das verabredete Zeichen machte, aber was danach mit Klaus geschieht, das weiß er nicht.
Erwin beschäftigt sich weiter mit dem Druck der Flugblätter, seine Freundin Lore hilft ihm dabei. Dann findet er aber im Geheimen eine Arbeitsstelle in Luckau bei Herrn Schulze in einem Kartonagegeschäft. Herr Schulze hat eine ledige Tochter namens Elfriede, die Erwin heiratet. Sie arbeitet für die NS–Frauenschaft20 und ist deshalb viel unterwegs. Erwin lebt also nur mit dem alten Schulze. Als Luckau zerbombt wird, müssen sie zusammen ein neues Zuhause suchen.
Eines Tages soll Erwin ein Paket auf das Postamt in Gellhausen bringen. Er denkt an die Verabredung, die er gemeinsam mit Klaus schon damals schloss und macht sich auf den Weg zu der Post. Es kommt wirklich zu einer Begegnung. Erwin will sofort gestehen, dass er Klaus in Naumburg verriet, aber Klaus fängt gleich an zu erklären, dass er damals in dem Dom wirklich bespitzelt wurde. Bevor Erwin äußern konnte, was ihn sehr belastet, ist Klaus wieder weg. Nur ein Zettel mit einer Adresse bleibt Erwin in der Hand. Erwin schreibt also einen Brief, in dem er alles bekennt. Aber „Der Postbote hatte den Brief zurückgebracht mit dem Vermerk: “Adressat unbekannt verzogen“.“21