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ortschatzarbeit
heißt Arbeiten mit
Wörtern
„Wofür ich keine Sprache habe,
darüber kann ich nicht reden.“
Ingeborg Bachmann
Die erfolgreiche
Arbeit von Schü-
lerinnen und Schülern im Unter-
richt hängt entscheidend von ihren
sprachlichen Fähigkeiten ab. Dabei
ist nicht nur ihr Wissen über die All-
tagssprache wichtig,
sondern auch
ihr Zugang zur Bildungssprache.
Im tatsächlichen Sinne des Begriffes „Wortschatz“ ist die Erweiterung des sprachlichen Könnens
„Schatzgräberei“. Schülerinnen und Schüler können täglich neue Wörter entdecken, Beziehun-
gen zwischen vorhandenem Weltwissen und zu erlernendem Fachwissen finden und damit ihren
Wortschatz/Sprachschatz erweitern. Die Welt der Wörter und ihrer Beziehungen eröffnet ihnen
Erkenntnisse und Einsichten, wenn ihnen der Zugang zu den entsprechenden Wissensnetzen ge-
lingt. Wortschatzarbeit kann dies in entscheidender Weise unterstützen. Kognitive Psychologie
und konstruktivistische Lernpsychologie beschäftigen sich seit langem damit, wie man Wörter
lernen, behalten und abrufen kann und wie sie im Gedächtnis gespeichert sind.
Lernen eines Wortschatzes heißt, Wörter in ihren vielen Facetten (z. B. Schreibung, Lautung)
wahrzunehmen, zu verstehen, zu memorieren, anzuwenden. Jedes neue Wort/jedes Redemittel
ist ein Beitrag zu mehr Weltwissen und stärkt damit die Persönlichkeit der Schülerinnen und
Schüler.
Die Bedeutung der neuen Wörter, ihre Struktur, ihre Ordnung und ihre Beziehung zum bereits
vorhandenen Wortsystem werden im mentalen Lexikon gespeichert, in welchem der Wortschatz
netzartig strukturiert ist. Dabei kann jedes Wort gleichzeitig unterschiedlichen Ordnungen (so-
genannten Netzen) angehören. Mit steigender Quantität nehmen auch die Verknüpfungsmög-
lichkeiten innerhalb des Netzes und zwischen den Netzen zu, es wird immer einfacher, Neues
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Sprachsensibler Fachunterricht | Deutsch
dazuzulernen. Damit leistet Wortschatzarbeit auch einen Beitrag zur qualitativen Entwicklung
von Lernprozessen.
Mögliche Netze, in denen
Wörter gespeichert werden, sind:
»
Begriffsnetze: Vernetzung nach begrifflichen Merkmalen (vor allem Nomen, die hierar-
chisch geordnet werden, Ober- und Unterbegriffe)
»
Wortfelder: Vernetzung nach sprachspezifischen Bedeutungsmerkmalen, u. a. Synonyme,
Antonyme (sinnverwandte und inhaltlich verwandte Wörter zu einem Thema, z. B. Ballade)
»
syntagmatische Netze: lexikalische Verbindungen, Kollokationen, d. h. Wörter, die oft zu-
sammen gebraucht werden, z. B. Hunde und bellen oder
himmelhoch und jauchzend
»
Sachnetze: Vernetzung unter enzyklopädischen und soziokulturellen Aspekten (themati-
sche Beziehungen, räumlich-zeitliche Beziehungen)
»
Wortfamilien: Vernetzung nach morphologischen Aspekten (Wörter, die durch Ableitung
und Komposition zueinander in Beziehung stehen, dabei Vermischung von Sach-, Wort-
und Begriffsnetzen)
»
Klangnetze: Ordnungsfaktoren sind Wortlänge, Phonemstruktur, Silbigkeit, Graphem-
struktur, z. B. Reime
»
affektive Netze, auch Assoziationsnetze: Wörter werden aufgrund von eigenen Erfahrun-
gen und Wahrnehmungen auch mit ihren Nebenbedeutungen, Konnotationen, gespei-
chert, z. B. Ferien – Sonne, Feuer – Gefahr
Das lexikalische Lernen sollte folglich qualitativ bestimmt sein, d. h., es gilt, die Vernetzung von
Wörtern und Formulierungen im mentalen Lexikon zu aktivieren und zu optimieren. Peter Kühn
formuliert pointiert: „Den Lernern sollte in Bezug auf den Wortschatz
die Einsicht vermittelt
werden, dass dieser geordnet ist und dass es gilt, in der unübersichtlichen Fülle und dem schein-
baren Durcheinander der Wörter Ordnungen zu erkennen und zu schaffen. Es gilt die Maxime:
Wörternetze statt Grundwortschätze.“
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