Kunigunde, Erzherzogin von Österreich und Herzogin von Bayern-München (1465-1520) Eine Biographie



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12.6 Die Klosterreform von 1518
Nach der großen Reform von 1484, die durch Herzog Albrecht IV. in Absprache mit den
Vertretern der Stifterfamilie, Anthon und Bernhard Pütrich angeregt und durchgeführt
worden und von Papst Sixtus IV. (oder Innocenz VIII.) bestätigt worden war, hatten alle
Schwestern mit Ausnahme der Katharina Gebhard auf die Ableistung der drei
gefordertern Gelübde verzichtet und das Regelhaus verlassen.
907
 Doch schon nach weni-
gen Jahren war es unter den Vorsteherinnen Agnes Kiener und Clara Loderin zu einem
erneuten Aufschwung des Klosters gekommen, der auch durch die besondere Aufmerk-
samkeit Kunigundes bedingt war. Auch in der Zeit, die die Herzogin dort verbrachte,
scheint es eine große Zahl von aufnahmewilligen Frauen gegeben zu haben, die eine
Modifikation der Regeln von 1484 notwendig machte. Offensichtlich war es die Herzo-
gin selbst, die sich Gedanken um eine neue verbesserte Ordnung machte; sicher ist
zumindest, daß es sich Kunigunde, der die Zukunft „ihres“ Regelhauses sehr am Herzen
lag, nicht nehmen ließ, aufgrund der angestrebten Reform den ältesten Vertreter der
Stifterfamilie, Hans Pütrich aus Pasing,
908
 persönlich um die Herausgabe der von ihrem
verstorbenen Gatten ausgestellten Urkunde von 1484 zu bitten, wozu dieser sich auch
bereit erklärte.
909
 Nachdem der für Bayern zuständige Kustos und Visitator Caspar
Schatzgeir seine Zustimmung gegeben hatte,
910
 wurden schließlich am 12. Juli 1518 von
Clara Loderin als Vertreterin des Konvents und von Hans Pütrich als dem Vertreter der
                                                           
907
Vgl. BayHStA, Klosterurkunden München-Pütrich, 1518 VII 12/2; BayHStA, KL-Fasz. 423/2
(Konzept beider Urkunden) sowie H
UFNAGEL
, Pütrich, S. 280f.
908
Zu Hans Pütrich vgl. S
TAHLEDER
, Pütrich, S. 275, Nr. 81.
909
Vgl. BayHStA, Klosterurkunden München-Pütrich, 1518 VII 12/2: ...haben ir furstlich gnaden [...]
fürnemen und willen, der iren furstlichen genaden deshalben bewist, mich, Hanns Pütrich, als yetz
elltesten der stifft, personlich ersuecht und an mich genedigklich begert, iren furstlichen genaden,
auch den gaystlichen schwestern unser, der Pütrich, stifft, den brief, so vorgenanter ir fürstlichen
genaden herr und gemachel, seliger gedechtnus, bemellten meinen zwayen freundten geben hat, in ir
fürstlich genaden aygen hanndt zu stellen und zu überantworten. So ich dan erkenn und zuhertzen mir
auch offenwar ist, in diser meiner vorelltern loblichen stifft und regelhaws, die stät genedig groß hilff
und fürderung der yetz gemelten dürchleuchtigen hochgebornen fürstin, meiner genedigisten frawen,
bin ich gantz willig, genaygt und berayt, iren fürstlichen genaden und den gaystlichen schwestern, so
yetz darin sindt und kunfftigklich darein komen, sölchen brief uber zugeben...
Daß Kunigunde persönlich in die Verhandlungen mit Hans Pütrich eingegriffen hat, zeigt auch das
Gegenstück zur Urkunde des Hans Pütrich, das von Clara Loderin im Namen des Konvents ausgestellt
wurde:  Nachdem die durchleuchtig hochgeborn fürstin, fraw Kunigundt, geborne ertzhertzogin zu
Osterreych, hertzogin in Bayrn etc. witibfraw, unnser genedigiste fraw und getreweste liebste mueter
in Got, mit dem vesten Hannsen Pütrich zu Pasing, unnsers stifftsherrn, gehandelt hat... Vgl.
BayHStA, Klosterurkunden München-Pütrich, 1518 VII 12/1. Druck der Urkunde der Clara Loderin
in: B
IHL
, De tertio ordine, S. 448f.
910
Vgl. BayHStA, Klosterurkunden München-Pütrich, 1518 VII 12/1: ...mit gunst und verwilligung des
wirdigen vaters Caspar Schatzgeyr, derzeyt custos in Bayrlanndt, visitator, unnd des erwirdigen

202
Stifterfamilie die Urkunden ausgestellt, in denen die Reform Herzog Albrechts in eini-
gen Punkten erweitert wurde:
911
Erstens sollte die Aufnahme neuer Schwestern in den Konvent in Zukunft nur noch
möglich sein, wenn die Kandidatin sich verwillig  [...] der gehorsam eines yeden
visitators nach got und inhallt der dreyer glüb und regel des dritten ordens sandt
Francisen. Außerdem mußte die Aufnahme mit des elltesten Pütrich der stifft wissen
und willen und dem mereren tayl des conventz Zustimmung geschehen. Für den Fall,
daß sich diese beiden Parteien nicht einigen konnten, war vorgesehen, daß ein Visitator
die Rolle eines Obmannes übernehmen sollte.
912
 Ein zweiter Punkt legte fest, daß die
jeweilige Würdige Mutter und die Schwestern des Regelhauses keinen Besitz verkaufen
und diesen auch nicht verändern durften, wenn sie nicht die Zustimmung des ältesten
Vertreters der Familie Pütrich sowie der Mehrheit der Konventsmitglieder besäßen.
913
Drittens wurde vereinbart, daß die Mutter des Konvents jährlich einem Visitator und
dem Konvent eine rechnung, d.h. ihre Buchführung vorlegen sollte, wie dies schon bei
der Reform unter Albrecht IV. beschlossen, aber offensichtlich nicht immer durchge-
führt worden war. Der älteste Vertreter der Familie Pütrich sollte vorab informiert wer-
den, um beim Offenlegen der Bücher dabei sein zu können.
914
Welchen Stellenwert diese erweiterte Ordnung des Regelhauses für Herzogin Kuni-
gunde besaß, läßt sich nicht nur daran erkennen, daß sie persönlich an den Verhand-
lungen mit Hans Pütrich beteiligt war, sondern auch daran, daß sie die neue Ordnung
mit einem eigenhändigen Zusatz unter dem Text der Urkunde des Hans Pütrich bestä-
tigte:
So pekenn ich, Kunigund, geporen ertzhertzogin vonn Osterreich, hertzogin in
bairen, witib, daß dise obgeschriben ordnung mir der fest Hanns Putrich zw
Pasing zw unnderthanigen gefallen aufgericht und getann hat; daß auch solichs
von paide taillen furan zw ewigen zeiten getrewlichen sol gehalten werden. Zw
urkund diser meiner hanndgeschrift hiemit underschriben.
915
                                                                                                                                                                              
vaters provincial gemainen commissari... Zur Erweiterung der Reform von 1484 vgl. auch kurz:
H
UFNAGEL
, Pütrich, S. 382f.
911
Vgl. BayHStA, Klosterurkunden München-Pütrich, 1518 VII 12/1 und 1518 VII 12/2.
912
Vgl. BayHStA, Klosterurkunden München-Pütrich, 1518 VII 12/2.
913
Vgl. BayHStA, Klosterurkunden München-Pütrich, 1518 VII 12/2: Zum andern sollen die mueter und
schwestern, so yetz in dem obgenannten regelhaws sindt oder kunfftigklich darein komen, nichts
davon verkawffen oder verändern on willen und radt des elltesten Pütrichs der stifft und dem mereren
tayl des convents.
914
Vgl. BayHStA, Klosterurkunden München-Pütrich, 1518 VII 12/2: Zum dritten sol alle jar von der
mueter des regelhawss ein rechnung vor dem visitator und dem convent beschicht, wie seyt der
reformacion im brauch gewesen ist. Zu der selben rechnung soll füran dem elltesten pütrich der stifft
vorzeytlich verkündt werden, ob er wol darzu komen und dabey sein, alles getreulich on geferde.
915
BayHStA, Klosterurkunden München-Pütrich, 1518 VII 12/2.

203
Die spätere Chronik des Klosters weiß von dieser Reform-Erweiterung allerdings nichts
zu berichten. Da sich deren Verfasserinnen in der Regel auf frühere handschriftliche
Notizen sowie auf vorhandene Urkunden stützen, ist zu vermuten, daß ihnen die oben
genannten Urkunden nicht zur Verfügung standen; möglicherweise maßen sie dieser neu
eingeführten Ordnung auch keine große Bedeutung zu. Da jedoch ansonsten jede noch
so geringe Wohltat Kunigundes zugunsten des Regelhauses in der Klosterchronik
Beachtung fand, scheint es unwahrscheinlich, daß ihre Beteiligung an dieser Umgestal-
tung aufgrund einer vermuteten Bedeutungslosigkeit ausgelassen wurde. Wahrscheinli-
cher ist daher die Annahme, daß die betreffenden Urkunden den Verfasserinnen nicht
vorlagen oder daß sie von diesen übersehen wurden.
13. Die Entlarvung der religiösen Schwindlerin Anna Laminit
aus Augsburg
13.1 Anna Laminit: Leben und Charakter
Anna Laminit, eine der bekanntesten Augsburger Frauengestalten des beginnenden 16.
Jahrhunderts, und ihre angeblichen Wundertaten fanden nicht nur in den verschiedenen
Augburger Städtechroniken, sondern auch in anderen Schriften späterer Zeit Beachtung,
was ihre Bekanntheit unterstreicht, die weit über den Augsburger Raum hinausging.
916
Über die Kindheit und Jugend Annas, die um das Jahr 1480 als Sproß einer Augsburger
Handwerkerfamilie geboren wurde, ist, hauptsächlich wohl bedingt durch ihre Herkunft,
nur sehr wenig überliefert. Erste Beachtung fand sie in den älteren Quellen, wo berichtet
wird, daß sie als junges Mädchen von etwa 16 Jahren in Augburg an den Pranger
gestellt wurde und zusammen mit einer „Gespielin“ mit Ruten von Kuplens wegen und
                                                           
916
Einen Überblick über die Quellenlage und die ältere Literatur, die sich mit Anna Laminit beschäftigt,
gibt R
OTH
, Anna Laminit, S. 364-375. Roth nennt hier vor allem die Augsburger Städtechroniken des
Wilhelm Rem († 1529), des Malers Georg Preu des Älteren, des Clemens Sender und des Augsburger
Patriziers Mattaeus Langenmantel, die alle in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunders entstanden sind,
aber auch auswärtige (z.B. Aventin) und zeitlich spätere Zeugnisse (z.B. Clemens Jäger). Neben den
von Roth genannten Quellen fand die Geschichte der Entlarvung Annas auch Eingang in die Chronik
des Münchner Pütrich-Klosters, wo die Rolle der Herzogin Kunigunde bei dieser Tat ausführlich
gewürdigt wurde. In Kunigundes Biographie, die mit dem Eintritt der Protagonistin in das Regelhaus
endet und nur noch den Tod der Herzogin meldet, fehlt diese Begebenheit ebenso wie andere
Ereignisse ihrer Klosterzeit, beispielsweise ihre Beteiligung im Erbstreit ihrer Söhne. Einen kurzen
Abriss  über der Biographie Annas findet sich bei Friedrich K
RENNER
: Die Portraitsammlung des
Erzherzogs Ferdinand von Tirol, in: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des allerhöchsten
Kaiserhauses 15 (1894), S. 147-259, hier S. 253f.
Auch heute ist Anna in der Stadt Augsburg noch nicht vergesem, wie Einträge in den neuesten Lexika
der Stadt Augsburg zeigen. Vgl. Wolfram B
AER
: Laminit, Anna, in: Wolfram Baer et al. (Hg.):
Augsburger Stadtlexikon. Geschichte, Gesellschaft, Kultur, Recht, Wirtschaft. Augsburg 1985, S.
221f. Außerdem Edith F
INDEL
: Anna Laminit, in: Augsburger Frauenlexikon. Hrsg. v. d. Stadt
Augsburg. Gleichstellungsstelle für Frauen. Augsburg 1992, S. 68f.

204
Bieberei aus der Stadt getrieben worden sei.
917
 Schon nach kurzer Zeit wurde sie aller-
dings begnadigt und konnte in die Stadt zurückkehren, wo sie die nächsten Jahre als
Insassin des von Afra Hirn im Jahre 1428 gegründeten Seelhauses lebte.
918
 Wie es
Anna, die mit einem derart schlechten Ruf vorbelastet war, gelang, Aufnahme in dieses
ehrwürdige Haus zu finden, muß offen bleiben, vielleicht waren es die Fürbitten
derselben Leute, die ihre Begnadigung und Rückkehr in die Stadt ermöglicht hatten.
919
Angeregt durch die fromme Atmosphäre und vielleicht durch das Vorbild des
berühmten Schweizers Claus von der Flüe mag Anna sich schon bald nach ihrer
Aufnahme in das Hirnsche Seelhaus bemüht haben, jenem Claus in seinem Ruhm als
Hungermärtyrer gleichzukommen oder diesen sogar zu übertreffen. Um ihre
Einzigartigkeit zu belegen, täuschte sie vor, keine gewöhnlichen Speisen mehr zu sich
zu nehmen, sondern sich allein vom sonn- und feiertäglichen Abendmahl zu ernähren:
Es ist ein gleisnerin und hochsteitzlerin hie zu Augsburg gewessen, Anna
Lameniten, die hat kinig, fürsten und herrn und gelert leut betrogen und gesagt,
sie eß kain leibliche speiß, sunder sie leb allein aus der krafft des hochwirdigen
sacraments; und hats hie der merer tail für hailig gehalten.
920
Mehrmals hörte man sie allerdings beim sonntäglichen Besuch der Kirche zum Heiligen
Kreuz klagen, daß ihr sogar die beim Abendmahl verteilten Portionen zu groß seien:
... und gieng alle suntag zw dem hochwirden sacrament zw dem Heyligen Creytz
und sy beclaget sych, die partickell weren ir zw groß. Und kam sy hert an zw
nießen, da buch man irs kleiner...
921
Verstärkt wurde dieses Wunder noch durch die Äußerungen Annas, daß sie aufgrund
ihrer Konstitution selbst dann, wenn sie essen wolle, keine Nahrung zu sich nehmen
könne. Wie weit die angebliche Abneigung Annas gegen das Aufnehmen von Speisen
                                                           
917
Vgl. L
ANGENMANTEL
, Chronik, fol. 516. Vgl. auch Friedrich R
OTH
 (Bearb.): „Chronica newer
geschichten“ von Wilhelm Rem 1512-1517 (Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16.
Jahrhundert, Bd. 25. Die Chroniken der schwäbischen Städte. Augsburg, Bd. 5). Nachdr. der Ausgabe
Leipzig 1896. Göttingen 1966, hier S. 12, berichtet rückblickend von Annas früheren Verfehlungen.
Ebenso R
OTH
, Anna Laminit, S. 375f.
918
Dieses Seelhaus war von der Stifterin Afra Hirn für vier Schwestern, die arm, ledig oder verwitwet und
ehrbar sein sollten, gestiftet worden, um an bestimmten Gedenktagen für die Familie Hirn und deren
Verwandten Gottesdienste abzuhalten, um die Grabkapellen zu reinigen und zu beaufsichtigen und um
Almosen an Bedürftige zu verteilen. Vgl. R
OTH
, Anna Laminit, S. 379.
919
Vgl. R
OTH
, Anna Laminit, S. 378f.
920
Vgl. S
ENDER
, Chronik, S. 116 sowie R
OTH
, Anna Laminit, S. 380f. Den Beginn ihres Hungerns etwa
für das Jahr 1497 anzunehmen, würde mit den Angaben Wilhelm Rems übereinstimmen, der berichtet,
eine Annali Lamenittlin habe behauptet, sie habe in 14 oder 16 jaren nichts geessen und getruncken.
Vgl. R
EM
, Newe Geschichten, S. 11. Eine ähnlich lange Zeit der angeblichen Enthaltsamkeit Annas,
nämlich 14 Jahre, nennt auch Friedrich R
OTH
 (Bearb.): Die Chronik des Augsburger Malers Georg
Preu des Älteren 1512-1537 (Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, Bd.
29. Die Chroniken der schwäbischen Städte. Augsburg, Bd. 6). Nachdr. der Ausgabe Leipzig 1906.
Göttingen 1966, hier S. 20.
921
Vgl. L
ANGENMANTEL
, Chronik, fol. 516.

205
ging, beschreibt und kommentiert der Augsburger Maler Georg Preu ziemlich anschau-
lich.
922
 Aufgrund dieses Verhaltens wurde Anna von jedermann bemitleidet, man
betrachtete sie als ein halb  überiridisches Wesen, das beständig mit dem Hungertode
ringe.
923
Natürlich war es für sie nicht leicht, den Anschein, nichts zu essen, im Seelhaus aufrecht
zu erhalten, wo die Bewohnerinnen eng zusammenlebten. Daher zog sie vermutlich bald
in das Haus ihrer Mutter. Hier war Anna sicher vor kritischen Blicken, wenn sie es auch
mit der Nahrungsaufnahme nicht übertreiben durfte, um ihre Anhänger nicht mißtrau-
isch zu machen. Anna lebte in den folgenden Jahren so abgeschirmt, daß es erst ein
Jahrzehnt später Herzogin Kunigunde gelingen sollte, ihre Schwindeleien aufzudecken.
Unterdessen lebte sie, nach Angabe der Augburger Chronisten, wohl hauptsächlich von
Obst und von wohlschmeckenden und kostbaren Delikatessen wie Konfekt, feine
Backwaren und süßen Weinen.
924
 Nach ihrer Übersiedlung ins Haus der Mutter scheint
sich Annas Ruf als Asketin sehr schnell verbreitet zu haben, schon in den ersten Jahren
des neuen Jahrhunderts wurde sie sogar von ausländischen Reisenden aufgesucht.
925
Auch König Maximilian war bei einem seiner häufigen Besuche in Augsburg im
Zusammenhang mit einem anderen Wunder dieser Zeit, den von den Niederlanden aus-
gehenden im ganzen deutschen Reich verbreiteten sogenannten Kreuzfällen,
926
 auf sie
aufmerksam geworden. Daß sich König Maximilian für dieses Kreuzwunder zu interes-
sieren begann, mag für Anna Grund genug gewesen sein, sich den Betroffenen anzu-
schließen, um die Aufmerksamkeit des Königs auf sich zu lenken.
927
 Auch mit Maximi-
lians zweiter Ehefrau Blanca Maria, die sich im Mai und Juni des Jahres 1503 in der
Stadt aufhielt, als sich die Kreuzfälle wiederholten, konnte Anna auf diese Weise Kon-
takt aufnehmen. Sie ermunterte die Königin, eine Prozession abhalten zu lassen, indem
                                                           
922
Vgl. P
REU
, Chronik, S. 20: Sie hat zu zeiten, alsbald sie Got empfangen hat, sich gebraucht als
unwillig oder [mit] kotzen, bis sie ist komen in ir stell, vor den leuten etc. - vil, vil böser stuck.
923
Vgl. R
OTH
, Anna Laminit, S. 381 und R
EM
, Newe Geschichten, S. 11.
924
Vgl. R
OTH
, Anna Laminit, S. 381.
925
Vgl. R
OTH
, Anna Laminit, S. 382.
926
Dabei handelte es sich um Flocken, die in Gestalt eines Kreuzes sogar mitten im Sommer vom Himmel
fielen, um sich auf menschlichen Körpern, Tüchern oder anderen Gegenständern niederzulassen. Auch
für Augsburg sind solche, wenn auch nicht übermäßig zahlreiche Kreuzfälle in den Quellen überliefert.
Vgl. R
OTH
, Anna Laminit, S. 282f.
927
Vgl. R
EM
, Newe Geschichten, S. 11f., L
ANGENMANTEL
, Chronik, fol. 516f. sowie R
OTH
, Anna
Laminit, S. 384.

206
sie von einer angeblichen Vision erzählte, in der ihr die Heilige Anna erschienen sei, um
dadurch den angeblichen Zorn Gottes zu besänftigen.
928
Maximilian, der selbst nicht in Augsburg gewesen war, ließ sich die Ereignisse genau
schildern und brachte die Wunder, die sich in jüngster Zeit ereignet hätten, besonders
aber die Kreuzfälle, als einen zentralen Punkt in einem Manifest vor, das zu einem
Krieg gegen die Türken auffordern sollte. In diesem Zusammenhang kam er auch auf
eine jungfrau [...] die in sechs jaren kein natürlich Speiß genoßen hat zu sprechen,
womit er das angebliche Wunder, das mit Anna verbunden wurde, anerkannte, verbrei-
tete und für seine Zwecke zu nutzen suchte.
929
Die Anerkennung durch den König mehrte natürlich den Ruhm der Schwindlerin, die in
den folgenden Jahren „Mode“ wurde und nicht nur von den Angehörigen des Hofes, den
Mitgliedern der großen Patrizierfamilien und den vielen kleinen Leuten Augsburgs auf-
gesucht wurde, sondern auch von ausländischen Gästen, die in der Stadt zu Besuch
waren. Der Höhepunkt der Bekanntheit und Popularität Annas fällt zusammen mit dem
Reichstag, den Maximilian im Jahr 1510 in Augsburg abhielt. Die meisten der zu die-
sem Anlaß angereisten Fürsten und Gesandten suchten damals vermutlich auch das
bekannteste Wunder der Stadt, die Hungerkünstlerin Anna Laminit, in deren Haus
auf.
930
Um einen engeren Kontakt mit König Maximilian pflegen zu können, wechselte Anna
sogar von der St. Anna-Kirche in die Gemeinde der Heiligen Kreuzkirche über, die sich
in unmittelbarer Nähe ihres Hauses befand und die zu dieser Zeit als eine Art Hofkirche
fungierte, wenn der Kaiser in der Stadt war.
931
 Ihre häufigen Aufenthalte in dieser Kir-
che führten sogar dazu, daß Anna in den meisten Quellen als die Laminit bei Hl. Kreuz
bezeichnet wurde. In den Jahren ihrer größten Popularität wurde Anna Laminit nicht nur
von dem päpstlichen Legaten Bernhardino López de Carvajal aufgesucht, der im Jahr
1507 wegen der beabsichtigten Kaiserkrönung Maximilians in Deutschland weilte und
                                                           
928
Vgl. P
REU
, Chronik, S. 20. sowie R
OTH
, Anna Laminit, S. 385. Dieser Prozessionszug wurde
tatsächlich am 7. Juni des Jahres 1503 abgehalten, auch Königin Blanca Maria, die von ihren
Jungfrauen begleitet wurde, nahm daran teil, gekleidet in ein schwarzes Büßergewand, barfuß und mit
brennenden Kerzen in der Hand.
929
Vgl. R
OTH
, Anna Laminit, S. 386.
930
Vgl. R
OTH
, Anna Laminit, S. 387. Ihre Mutter Barbara war offensichtlich aus dem gemeinsam
bewohnten Haus ausgezogen oder abgeschoben worden, denn seit dem Jahr 1508 taucht Anna als
alleinige Eigentümerin in den Steubüchern der Stadt auf. Vgl. R
OTH
, Anna Laminit, S. 388.
931
Zu Annas Besuchen in der benachbarten hailigen Creutz kirchen vgl. S
ENDER
, Chronik, S. 116. Die
Stellung dieser Kirche beweist auch die Tatsache, daß in ihr die Besingnisse abgehalten wurden, die
anläßlich des Todes Herzog Albrechts IV. und des Kürfürsten Philipp stattfanden. Vgl. R
OTH
, Anna
Laminit, S. 388f.

207
bei dieser Gelegenheit auch mit Anna zusammentraf.
932
 Martin Luther, der einige Jahre
später auf seiner Rückreise von der römischen Kurie in Augsburg Station machte, lernte
bei dieser Gelegenheit die berühmte Asketin kennen; er habe sich, so berichtete er in
seinen späteren Erzählungen, aber nicht von ihr blenden lassen und ihr sogar eine War-
nung zukommen lassen, wobei er sie allerdings nicht mit ihrem verbreiteten Namen
Anna, sondern mit Ursula ansprach, der nach Meinung Roths möglicherweise der Tauf-
name der Laminit war.
933
 Einen ähnlichen Eindruck wie Luther will auch dessen erbit-
terter Gegner Johann Eck aus Ingolstadt gewonnen haben, der Annas Bekanntschaft
gemacht hatte, als er bei einem seiner häufigen Geschäftsbesuche in Augsburg weilte.
934
Finanziell erging es ihr, die aus den einfachsten Verhältnissen stammte, in diesen Jahren
nicht schlecht. Neben einer Dienstmagd, die den Namen Appel trug und die in die
Betrügereien ihrer Herrin offenbar nicht eingeweiht worden war,
935
 nennen die Quellen
eine Gruppe weiblicher Personen, „Gespielinnen“ genannt, die wohl die emsigsten
Anhängerinnen Annas waren und deren Enthaltsamkeit bei Bedarf bestätigten.
936
  Für
angenehme Verhältnisse sorgten die Besucher Annas, die als Dank für deren Gebete
Geld und Speisen für die Armen mitbrachten; diese Gaben behielt Anna teils für sich,
teils verteilte sie diese aber wirklich in der benachbarten Kirche.
937
 Höhergestellte Per-
sönlichkeiten drückten ihrer Verehrung für die Hungermärtyrerin mit verschiedenen
Geschenken, Ringen oder anderen Kleinodien aus.
938
Neben ihrem „offiziellen“ Leben als Asketin soll Anna in ihren letzten Augsburger Jah-
ren auch wieder die Tätigkeiten aufgenommen haben, derentwegen sie bereits mit 16
Jahren aus ihrer Heimatstadt vertrieben worden war.
939
                                                           
932
Vgl. R
OTH
, Anna Laminit, S. 396. Nach dem Bericht in der Chronik des Clemens Sender habe
Bernhardino Anna bei diesem Treffen gefragt, wie häufig sie das Sakrament zu sich nähme und sei
nach ihrer Antwort alle sumptag zu dem Ergebnis gekommen, daß dies zu häufig sei. Vgl. S
ENDER
,
Chronik, S. 117. Zu Kardinal Carvajal vgl. Miquel B
ATLLORI
: Carvajal, Bernadino López de, in: LdM,
Bd. 2. München 1983, Sp. 1535f.
933
Vgl. R
OTH
, Anna Laminit, S. 397f.
934
Vgl. R
OTH
, Anna Laminit, S. 398.
935
Vgl. R
OTH
, Anna Laminit, S. 391; S
ENDER
, Chronik, S. 116 sagt nur, Anna habe mit ihrer Mutter und
einer Magd zusammengelebt, nennt aber deren Namen nicht. Vgl. auch R
EM
, Newe Geschichten, S.
12, der den Namen der Magd mit Appel angibt.
936
Vgl. R
OTH
, Anna Laminit, S. 392.
937
Vgl. S
ENDER
, Chronik, S. 116.
938
Vgl. R
OTH
, Anna Laminit, S. 392. Von Kaiser Maximilian erhielt Anna mindestens ein Geschenk, im
Jahr 1508 wurde Jakob Fugger beauftragt, der Junckfrauen, die nichts ißt, zu Augspurg ein schwarzes
Stück Stoff von guter Qualität zu übergeben. Vgl. R
OTH
, Anna Laminit, S. 392. Auch Wilhelm Rem
berichtet von den Besuchen des Kaisers und wertvollen Geschenken, klainet von fremden landen, vgl.
R
EM
, Newe Geschichten, S. 12, ebenso P
REU
, Chronik, S. 20.
939
Im Unterschied zu damals waren ihre angeblichen Verehrer nun aber Männer, die über Macht, Geld
und Einfluß in Augsburg verfügten. Zu ihnen gehörte, wenn man den Quellen Glauben schenken darf,
auch Anton Welser, ein bedeutendes Mitglied der berühmten Kaufmannsfamilie und Schwiegervater

208
Bereits zum Zeitpunkt des Luther-Besuches bei Anna Laminit im Jahre 1511 war deren
Ruf als Hungerkünstlerin in Augsburg nicht mehr unangetastet. Ausgehend von den
Behauptungen ehemaliger „Gespielinnen“, die ihre einstige Freundin offenbar durch-
schaut hatten, mehrten sich die Stimmen, die eine ärztliche Untersuchung dieses Phä-
nomens forderten. Die sich häufenden Diskussionen um die Glaubwürdigkeit Annas
drangen sogar bis ins abgeschiedene Pütrich-Regelhaus nach München, wo die Herzo-
gin, die dort zwar zurückgezogen, aber nicht weltfremd lebte, auf den zweifelhaften
„Fall“ aufmerksam wurde.
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