20
Sprichwörter haben vielfältige Aufgaben, zum Beispiel kommentieren sie den
vorangehenden Text, sie verstärken illokutive
13
Komponenten des Textes, sie aktivieren
zusätzliches Vorwissen der Hörer, sie dienen als Stütze für Argumente oder Begründung
für Handlungen usw. Die Sprichwörter drücken Moralbelehrungen, Warnungen,
Argumente, Trost, Ermahnungen, Erklärungen, Zusammenfassung usw.
aus und das
bedeutet, dass sie kontextuelle Funktion haben. Sie drücken einen Kontext aus. Dass die
Sprichwörter argumentativ verwendet werden, steht beim heutigen Gebrauch von
Sprichwörtern nicht mehr im Vordergrund. Jedoch ist diese argumentative Funktion
gerade in älteren Texten ein zentraler Funktionsbereich des Sprichworts (vgl. Burger
2007: 100, 112).
Sprichwörter stellen eigene Mikrotexte dar. Sie sind nicht im Lexikon einer Sprache als
Benennungseinheiten gespeichert und werden demzufolge nicht wie lexikalische Einheiten
reproduziert, sondern wie andere Mikrotexte und Teiltexte zitiert (Fleischer 1997: 76).
2.4.5 Sprichwörter als soziales Phänomen
Die Sprichwörter haben auch eine soziale Funktion. Sie weisen historische und
kulturspezifische Merkmale aus. Die Sprichwörter sind ein Bestandteil der Folklore und
die Erforschung des Sprichworts hat in der Volkskunde eine lange Tradition. Die
Volkskunde ist eine kulturell historische wissenschaftliche Disziplin, die sich mit der
Entwicklung der Folklore beschäftigt. Die Volkskundler
erforschen die Herkunft der
Sprichwörter, ihre Einbettung in sozialhistorische und kulturhistorische Zusammenhänge
und auch ihre Wanderungen (vgl. Burger 2007: 100). Die soziale Funktion enthält zwei
Aspekte: Sprichwörter werden entweder als Deutungen einiger Situationen und
Verbürgung von Wahrheit (interpretative Funktion) oder als Anweisungen, Belehrungen
(regulative Funktion) verwendet. Als semantisch-pragmatischer Mehrwert wird die
Tatsache bezeichnet, dass ein Sprecher oder Schreiber mit den Sprichwörtern etwas
darstellt und gleichzeitig eine Einstellung ausdrückt. Das heißt,
dass die Sprichwörter
auch über eine pragmatische Funktion verfügen. Die bewertende Funktion sagt, dass die
Sprichwörter eine Situation nur positiv bzw. nur negativ bewerten (Kaňovská 2012:
49f.).
In den Sprichwörtern kommt gesellschaftliche Thematik vor. Die Sprichwörter
spiegeln die Lebenserfahrungen auf der Religions-, Sozial- und Existenzebene wider.
13
Die Illokution= der illokutive Akt, der Sprechakt.
21
Diese praktischen Lebenserfahrungen werden durch die Moralbelehrungen ausgedrückt
und die Moralbelehrungen betreffen vor allem Gott, Gut und Böse, Wahrheit und Lüge,
Glück und Unglück, Armut und Wohlstand, Jugend und Alter, Gesundheit und Krankheit
usw. Sie mahnen
die Leute zu Ehrlichkeit, Bescheidenheit, Geduld, Rücksichtnahme,
Mäßigung und zu weiteren positiven menschlichen Eigenschaften (vgl. Mocná et al.
2004: 552).
Das Sprichwort ist ein Bestandteil der oralen Volksliteratur, die unter die
literarische Folklore fällt. Für die orale Volksliteratur gibt es diese synonymen Termini:
Volksliteratur, Folkloreliteratur, literarische Folklore. Die Folklore stellt die Äußerungen
der Volkskultur dar, die spontan entstehen, die nicht schriftlich fixiert sind und die sich
vor allem durch mündliche Überlieferung verbreiten. Da die
Art und der geschriebene
Text sich im Laufe der Zeit zu verbreiten begonnen haben und die Leute schon lesen
konnten, begannen die Folkloreäußerungen zu verschwinden, vor allem die eigentliche
Volkskunst. Die Äußerungen der Folklore, die sich bisher hauptsächlich mündlich
verbreitet haben, sind meistens durch die geschriebenen Texte ersetzt worden. Die
schriftliche Datierung der folkloristischen Bräuche hat später
zur Entstehung der
Volkskunde beigetragen (vgl. Mocná et al. 2004: 206; Brouček et al. 2007: 488).
14
Encyklopedie literárních žánrů
charakterisiert die Volksliteratur als „Literarische
Schöpfungen
,
die sich durch mündliche Überlieferung in der Umgebung der
unterprivilegierten Schichten verbreiten“
15
(Mocná et al. 2004: 206), d. h. die
Folkloreäußerungen, die sich zwischen den Land- und teilweise auch Stadtschichten
verbreiten (vgl. ebd.).
Die Volksliteratur umfasst lyrische, epische, poetische,
prosaische und
dramatische Formen. Diese Formen der Volksliteratur gliedern sich in sog.
Folkloregenres und das Sprichwort gehört zu den kleinen Folkloregenres. Meistens
unterscheidet man sechs Genregruppen:
Dostları ilə paylaş: